Detlef Hartmann

Empire: Einladung der Linken in eine neue konservative Revolution.(1)

Wird sie folgen? Als uns vor fast zwei Jahren der Text von Hardt/Negri (im folgenden H/N) "Empire"(2) zur Begutachtung für eine Publikation vorlag, machten wir aus unserer entschiedenen Ablehnung keinen Hehl. Wir hatten Negriës Entwicklung nach rechts über die Jahre verfolgt. "Empire" lag im Trend. Wir meinten, dies sei eine Zumutung für die Linke, sie würde den Text rechts liegen lassen. Tut sie das? Es gibt eine Diskurshype, die jetzt auch Deutschland erreicht hat. Viele sind unsicher, sie fühlen sich von H/Ns akademischen Inszenierungen erschlagen. Aus vielen Reaktionen wird deutlich, dass die Geschichte radikaler linker Theoriebildung der 70er und 80er Jahre nicht mehr ausreichend präsent ist, um die Veränderung bei H/N einordnen zu können. Viele mögen ó von der Phase postmoderner Individualisierung ausgelaugt ó einfach dem prophetischen propagandistischen Rausch von H/Nís Visionen über das kollektive Aufgehen in produktiven Gemeinschaftskörpern berauscht sein. Endzeitvisionen dieser Art:

"Produktion lässt sich nicht mehr von Reproduktion unterscheiden, die Produktivkräfte verschmelzen mit den Produktionsverhältnissen; fixes Kapital findet sich zunehmend innerhalb des zirkulierenden Kapitals, in den Köpfen, Körpern und in der Kooperation der Produktionsmaschine. Die gesellschaftlichen Subjekte sind zugleich Produzenten und Produkte dieser Einheitsmaschine.In dieser neuen historischen Formation lassen sich keine Zeichen, kein Subjekt, kein Wert, keine Praxis mehr ausmachen, die "außerhalb" liegen." (S.392)

"Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sie wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind." (S.413)

In der Tat: in dieser Beschwörung des Aufgehens aller und ihrer produktiven Kräfte im Gemeinschaftskörper der produktiven Gesamtmaschine liegt die Grundbotschaft des Buchs, es beginnt mit ihr und steigert sie zu poetisch-propagandistischem Rausch. Das riecht totalitär, doch dazu unten. Zunächst: wie kommen H/N zu dieser Verkündigung?

Der Weg in den Gemeinschaftskörper

Die Frage, welchen Weg H/N beschreiten müssen, um den Leser zu solchen Botschaften zu führen, ist eine Frage der Methode und Rhetorik. Wir wissen: der Blick macht den Gegenstand, die Methode das Ergebnis. Fängst du mit den kämpfenden Subjekten in ihrer Auseinandersetzung mit den Gewaltformen der Verwertung an, dann bleiben sie die Subjekte und du gelangst zu ihren Befreiungsperspektiven und óchancen. Fängst du mit dem Blick aus der Perspektive der Macht und Herrschaft an, dann verschwindet das Eigene der kämpfenden Subjekte unter dem Mantel von Souveränität, Kontrolle, Technologien und Gesamtvision. Negri ist ein geschulter Linker, mit allen dialektischen und rhetorischen Wassern gewaschen, Hardt vielleicht eine Schattierung plumper. Sie wählen den Blick von oben, ohne sich mit Fragen der Methode erst aufzuhalten, und dies mit einer geradezu unverschämten Penetranz. Schon die Überschriften prägen die Stempel auf die lesenden Gehirne: Weltordnung, Modell imperialer Autorität, Hoheitsrechte, Passagen der Souveränität, imperiale Souveränität. Wenn nach dem Einschleifen dieser Perspektive dann auch Menschen als "die Menge" (im Original: multitude) in den Blick genommen werden, dann wähnt man die LeserIn didaktisch aufbereitet für die Propaganda des das Aufgehens aller im Körper der produktiven Gesamtmaschine.

H/N lassen Geistesgrößen aus drei Jahrtausenden als bildungsbürgerliche Reservearmee für sich aufmarschieren. Trotzdem ist die rote Linie der Gedankenführung eher simpel. Die Weltordnung des "Empire" nährt sich aus der Entfaltung der postmodernen Produktivkräfte óinformatischer und aus immateriell-affektiver Arbeit gewonnener Vernetzung- zur vollen globalen Souveränität. Im höchsten Stadium der Machtreife wird es von der totalen Macht befreiter Arbeit als parasitär abgestreift und gibt der Entfaltung und dem Aufgehen aller in der produktiven Gesamtmaschine Raum. Der grundlegende Widerspruch und Widerstand geht im Strom der gemeinschaftlichen Selbstverwertung auf und gibt die Form der Verneinung, der Negation auf. Diese wird begrifflich der "Ontologie" einverleibt, in Kategorien des Seins gefasst und daher getilgt: "Es gibt kein Außen mehr"(passim, insbes. 73-79).

H/N vertrauen zur Aufprägung dieser plumpen Linie nicht allein auf das Einschleifen der Herrenperspektive, der Perspektive der Souveränität und der Macht. Bei allem Zuspruch aus der Rechten wendet sich das Buch auch an Linke, die ja immerhin andere Perspektiven pflegen. Sie müssen daher auch deren Vertreter und deren Begrifflichkeit Rechnung tragen, sie zumindest berühren. Und hier setzen sie atemberaubende Fälschungen und Manipulationen an. Zentral ist die Umfälschung der Arbeiten von Michel Foucaults. Von ihm entlehnen sie den Begriff "Biopolitik" und "Biomacht" und werten ihn gegen seine Intentionen um 180 Grad um.
 
 

Das Empire als "apriorisches" Diktat.

Schon das erste Kapitel prägt unmissverständlich den Blick von oben auf und damit den Charakter ihrer Konstruktion der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Gleich der allererste Satz bläst die Leitmusik: "Empire (die wörtliche Übersetzung mit "Reichsidee" scheint in Deutschland zu brisant) ist als Untersuchungsfeld durch die simple Tatsache bestimmt, dass es die Weltordnung gibt." Nicht, dass das Kapital versucht, den neuen Bewegungen und krisenhaften Prozessen eine Herrrschaftsstruktur aufzuprägen, die sich ideologisch am Weltordnungsgedanken orientiert o.ä., nein: "dass es eine Weltordnung gibt", dass sie ist, ontologisch. Diese Vorprägung wird im ersten Kapital Schlag auf Schlag vertieft: die Verfasstheit des Empire wird als "Rechtsordnung" gesetzt. H/N nehmen Bezug auf den Rechtspositivisten Hans Kelsen, mit dem sie das Recht in seiner reinen Positivität und durch keine Rechtfertigungsnotwendigkeit relativiert sehen wollen. Nichts gegen Kelsen. Ich erinnere mich mit Vergnügen an die Diskussionen, die wir im Seminar von Albert Ehrenzweig im aufrührerischen Berkeley der 68er Jahre mit ihm haben führen können. Da war allerdings keine Rede von der Machtperspektive, zu der Negri ihn vernutzt. Zur Debatte standen Widersprüche der "reinen Rechtslehre". Gewappnet mit soviel hoheitlicher Setzung von Recht und Ordnung setzen H/N positiv auch das "Empire" als Machtraum für das Anwachsen der produktiven Gesamtmaschine. Sie beziehen sich auf das imperiale Selbstverständnis des römischen Reichs und sagen, das Empire ist da, es setzt sich selbst oder, was dasselbe ist, H/N setzen es, im "Modell imperialer Autorität". Das "Empire" wird damit nicht nur als vorgefunden behandelt, das "imperiale Paradigma" wird als "Apriori des Systems" gesetzt, so, "als ob die neue Ordnung bereits konstituiert wäre".(S. 30). Die Verwendung des Begriffs "Apriori" spiegelt das Machtdiktat wider. Er hat seinen Platz in der bürgerlich-philosophischen Grundlegung einer Metaphysik der Erkenntnis. Er bedeutet hier: logisch der Erfahrung vorangehend, von ihr unabhängig, von vorneherein gesetzt und gültig. Was uns die philosophieerfahrenen H/N hiermit sagen, ist: Sie willküren die Idee des Empire, des Reichs und seiner expansiven Natur (dazu unten) zum unbedingten Ausgangspunkt ihrer Darstellungen, unbedingt von Analysen, Erfahrungen, vom politischen Diskurs, unbedingt von Kämpfen, ihrer gesellschaftlichen Wirklichkeit, absolut eben. "Apriori" wird hier zum philosophisch-metaphysischen Ausdruck für den Ausgangspunkt der von jeder Rechtfertigung und Rechtfertigungsdiskussion entfesselten Macht: "Der Formationsprozess, inklusive der in ihm handelnden Subjekte, wird von vorneherein in den positiv bestimmten Strudel des Zentrums gezogen, und der Sog ist schließlich unwiderstehlich. Der Sog geht nicht allein auf die Mittel des Zentrums zurück, Gewalt auszuüben, sondern auch auf die formale Macht, die ihm innewohnt, die Macht, totalisierend, systematisierend zu wirken." (S.30) Schon hier wird der Charakter einer Selbstentfesselung im Anspruch auf Gewalt deutlich. Und dann der erste Eklat, der jedem Antifaschisten die Haare zu Berge stehen lässt. H/N greifen bei der Frage der Praktiken zur Durchsetzung der Reichsidee und supranationaler Ordnung ohne Zögern und falsche Scham auf Carl Schmitt zurück. Carl Schmitt war der führende Verfassungsrechtler der Nazis gleich zu Beginn des 3. Reichs, eine besondere Rolle spielte seine Theorie des Ausnahmezustands. Hier knüpfen H/N an. "Inneres und supranationales Recht sind durch den Ausnahmezustand definiert. Die Funktion der Ausnahme ist hier zentral." (S. 32) Wer die Definitionsmacht über den permanenten Ausnahmezustand ergreife, setze Polizeió und Interventionsrecht. Die Rolle Sdchmitts im NS ist für H/N kein Thema. Vertrauen sie darauf, dass auch die Linke schon soweit ist?

Die Vergewaltigung des linken Foucault.

Jetzt erst, nachdem das Paradigma des Empire durch "apriorischen" autoritativen Akt gesetzt ist und wir "einen flüchtigen Blick auf Momente einer idealen Entstehungsgeschichte des Empire" (S. 37) geworfen haben, wenden sich H/N seiner Begründung in "materiellen Bedingungen" zu. Das ist so, wie wenn Marx die Bedingungen kapitalistischer Ausbeutung aus der Staatsidee hergeleitet hätte (wir wissen, wie heftig er seit seinen frühen Schriften ununterbrochen dagegen polemisiert hat). Es leuchtet ein, dass der Ausgangspunkt vom Unbedingten, vom Apriori imperialer Gewalt auch hier keinen grundsätzlichen Widerspruch dulden kann. Ausgehend von Michel Foucaults Arbeiten der 70er Jahre, machen sie dessen Begriff der "Biomacht" zum Kern des Empires als produktive Gesamtmaschine aus Milliarden Körpern und Hirnen. H/N`s Zurichtung Foucaults für diese Zwecke hat mir den Atem geraubt. In ihrer Verfälschung und Manipulation liegt ein Knotenpunkt für den Fortgang der Darstellung bis in ihren faschistoiden Ausdruck hinein. Darum müssen wir uns etwas genauer damit beschäftigen.

Foucault hat den Begriff der "Biomacht" und "Biopolitik" entwickelt, um der Intensivierung der Machtbeziehungen im Wege der Durchdringung und Zurichtung der Gesellschaft seit Beginn der Aufklärung Rechnung zu tragen: in den Knästen der Machtdurchdringung der Subjekte und Körper im Wege der Disziplinierung ("Überwachen und Strafen"), ähnlich in den Schulen, in der Fabrik, in Familie und sexuellen Verhältnissen ("Sexualität und Wahrheit").

Durchdringung mit dem Ziel der Unterwerfung und ökonomischen Inwertsetzung zugleich. Ihm ging es vor allem darum, zu einfache Vorstellungen von Repression und Befreiung eines gegebenen Subjekts zu überwinden. H/N knüpfen an Foucaults Vorstellungen vom "biopolitischen Charakter des neuen Machtparadigmas an"(S. 38). Sie tun dies in einer Weise, dass sie diesen Charakter völlig verfälschen und den von Foucault beabsichtigten praktisch-emanzipatorischen Sinn ausmerzen: "...wenn Macht vollkommen biopolitisch ist (wird) die Gesellschaft selbst zur Machtmaschine, entwickelt sich in ihrer Virtualität. Das Verhältnis ist offen, qualitativ und affektiv. Die Gesellschaft ist wie ein einziger sozialer Körper einer Macht subsumiert, die hinunter reicht in die Ganglien der Sozialstruktur und deren Entwicklungsdynamiken."(S. 39)

H/N beziehen sich auf zwei zentrale Werke Foucaults, in denen er den Begriff der "Biomacht" entwickelt hat: "Der Wille zum Wissen"(3) und "Les mailles du pouvoir".(4) Hier aber weht ein ganz anderer Wind. In beiden Werken, liest man nichts vom Aufgehen aller produktiven Kräfte des Menschen in die globale Totalität des biomächtigen Sozialkörpers. Hier ist die Rede von: Angriffsfront durch biopolitische Technologie, Techniken zur Unterwerfung der Körper, Besetzung des Raums der Existenz, Angriffsfront auch unter Einschluss nicht nur des Tötens, sondern des Massakers. Foucault begreift "Biomacht" als strategisches Dispositiv gewalttätiger Unterwerfungs- und Zurichtungsstrategien, die in neue Tiefen des Lebens eindringen und dabei eine neue Gewaltsamkeit entwickeln, nicht jedoch als umfassenden, alles einsaugenden Prozess der Produktion des Lebens, wie H/N es uns unterschieben wollen.(5)

Foucault ging davon aus, dass Erkenntnisse nur im Widerstand, aus der subversiven Kraft des Wissen im Kampf gegen die Macht möglich seien. Als Mitbegründer des G.I.P. (Groupe dëInformation sur les Prisons) hat er diese Einstellung praktisch-subversiv im gemeinsamen Kampf mit den aufrührerischen Gefangenen der französischen Gefängnisse umzusetzen versucht, zeitweise in Zusammenarbeit mit der "Gauche Proletarienne". Ausdrücklich im Bezug auf analoge Kämpfe in der Schule, im Reproduktionsbereich, in der Fabrik, begriff er seine eigenen Strategie eines handelnden Erkennens als Beitrag zu einem gemeinsamen übergreifenden Kampf. Erst die subversive Position, die man wählt, sagte er, gebe uns die Möglichkeit, die Techníken der Macht in den Blick zu nehmen. Er organisiert dies aus der Gegnerschaft gegen die biopolitischen Technologien óaus einem "Außen", das sich natürlich nicht in den simplen Vorstellungen der Territorialität definiert, sondern aus dem Kampf.

"Und wenn es wahr ist, dass im Herzen der Machtverhältnisse und als permanente Bedingung ihrer Existenz der Widerstand ("insoumission") und die wesentlich widerspenstigen Freiheiten wirken, dann gibt es keine Machtverhältnisse ohne Widerstandskraft (résistance)...Jede bedeutet für die andere eine Art permanente Grenze...ebenso wie es keine Machtverhältnisse ohne Widerstandspunkte gäbe, die ihnen grundsätzlich entgehen, ebenso müssen jede Intensivierung, jede Ausdehnung der Machtbeziehungen zu den Grenzen der Machtausübung führen (Hervorhebungen von mir).(6) Foucault sucht den grundlegenden Antagonismus zwischen Machttechnologien der Unterwerfung und Zurichtung und dem Widerstand in allen Bereichen auf, in die der Kapitalismus der intensiven Bevölkerungsbewirtschaftung seine Strategien im Laufe der Geschichte erstreckt hat: Fabrik, Gefängnisse, Psychiatrien, Familie, sexuelles Verhältnis der Geschlechter, Militär. Die Zentralität des Widerstands im Denken Foucaults hebt sein Freund Gilles Deleuze hervor: "...mehr noch, das letzte Wort der Macht lautet, dass der Widerstand primär ist...sodass sein soziales Feld Widerstand leistet, bevor es sich nach Strategien organisiert, und das Denken des Außen somit das Denken des

Widerstands ist."(7) Das ist der Grund, warum Foucault Widerspruch nicht im Sein aufgehen lässt und einen ontologischen Begriff der Wirklichkeit ausdrücklich und vehement zurückgewiesen hat(8). Dies ist eine entschiedene Absage an eine ontologische Darstellung des Machtwachstums der produktiven Gesamtmaschine, in deren Seinsverständnis H/N die negatorische Kraft des Widerspruchs aufsaugen und ersticken.

Ich kann die didaktischen Linien, auf denen H/N uns in die prophetische Schlußapotheose des produktiven Gemeinschaftskörpers führen, hier nicht im Einzelnen aufschlüsseln. Sie alle mobilisieren ihre rhetorische Überredungskunst aus einer meist platten und pauschalisierenden Inszenierung akademischen Wissens, deren Verzerrungen und Verfälschungen die normale LeserIn nur mit Mühe auf den Grund steigt. Sie sind wirklich ärgerlich und ich werde an anderer Stelle genauer auf sie eingehen. So ist es nicht etwa die Analyse der Herrschaft, sondern die ideologiegetränkte Ideengeschichte des Souveränitätsgedankens, über die uns H/N an den postmodernen Souveränitätstypus des Empire heranführen(107 ff.). Aus der Philosophie der Renaissance (ausgerechnet Machiavelli) wird die "revolutionäre Vorstellung von der Gleichheit aller Menschen" gekeltert, Spinoza habe sie angeblich zu neuem Glanz erweckt (S. 84 ff., 91,92). Nun, wie in jedem historischen Umbruch, so haben auch in der Renaissance machthungrige neue Eliten ihre eigenen Perspektiven mit Versprechen für alle garniert. Marx hat sich in seinen Frühschriften (und was Spinoza angeht, schon in seinen Schelling-Studien) unübertroffen dazu geäußert. Bei aller Verehrung für den radikalen Freigeist und Propheten der Schöpferkraft Spinoza: H/N unterschlagen, dass auch bei ihm die Teilhabeversprechen an die Bürger gerichtet waren und dass er Fremde, Sklaven und Frauen vom demokratischen Versprechen ausschloss, Frauen mit der überzeugenden Begründung, für die hätte man dergleichen noch nicht gesehen und das hätte schließlich seinen Grund.(9) Die Gründerväter der USA sehen H/N vom revolutionären Geist des Renaissance-Humanismus inspiriert. Sie statten die USA mit der geschichtlichen Mission der Herstellung der Machtnetzwerke von Weltreich und óordnung aus. Und das in einer Form hudelnder Geschichtsklitterung, wie sie jedem US-patriotischen Leitfaden für die linken gebildeten Stände zur Ehre gereichen würde (passim, besonders S.173 ff.). Das Buch ist halt für die US-Leserschaft geschrieben. Das Proletariat schließlich stellen H/N durch eine Überdehnung eines operaistischen Grundgedankens in den Dienst ihres Konzepts: es wird mit der historischen Aufgabe betraut, durch seine Kämpfe das Empire zur Vervollkommnung seiner Macht hochzukitzeln, um dann glücklich im produktiven Gesamtkörper aufzugehen (68 ff.,72,279 ff.)

Die totale Arbeitsmaschine, protofaschistisch getönt

Zurück zum materiellen Kern. Wir erleben täglich, wie im gegenwärtigen Umbruch innovative Technologien der Unterwerfung und Zuríchtung in neue Tiefen der Gesellschaft eindringen und neue Formen des prozessierenden Widerspruchs gegen sich aufrufen. Mit Foucault würde man sie "biopolitisch" nennen, weil sie den Zugriff auf Leben intensivieren und in bisher unerschlossene Dimensionen der Verwertung von Lebendigem treiben: In der Biologie, in der Unterwerfung unter neue Konstruktionen von Mensch-Maschine-Systemen (vorrangig zunächst auf militärischem Experimentierfeld), in der Zurichtung der Kommunikation und Unterwerfung unter das Diktat der Softwareproduzenten, in der informatischen Erschließung der personalen Existenz bis in die Tiefe biologischer und alltäglicher Lebensprozesse, im Zugriff informatisch-optischer Kontrollsysteme auf die Bewegungsabläufe des öffentlichen Raums mit Hilfe biometrischer Erfassung, in der von den technologischen Kommandohöhen der globalen "Cluster" ausgehenden Unterwerfung der produktiven und reproduktiven Prozesse in einem globalisierten Angriff von Netzwerkstrukturen. Das alles im blutigen globalen Ausgreifen einer Politik der "schöpferischen Zerstörung" tradierter gesellschaftlicher Strukturen und ihrer Aufbereitung zur Weltarbeitskraft. Foucault hat nicht gezögert, all das als technologischen Angriff zu charakterisieren und ihm das "Außen" des Widerspruchs, des Widerstands und der Befreiung auf neuer Stufenleiter entgegenzusetzen. Einem "Außen", das óselbstredend nicht mehr territorial begriffen- sich in allen Dimensionen der Gesellschaft als lebendige Schranke dem Zugriff entgegenstellt und zu neuer vielleicht (Foucault war da vorsichtig) revolutionärer Subjektivität formiert.

H/N blenden den Angriffscharakter aus. Sie verdinglichen und fetischisieren ihn zu "die Kommunikation", "die immaterielle Arbeit", "die Produktion", zur ontologisch begriffenen neuen Welt, die kein Außen, kein Anderes, keine Negation mehr kennt und aus dem der Widerspruch als bestimmende Größe ausgemerzt wird. Wenn H/N in "Empire" den Widerstand noch auf die ärmliche Funktion eines Stachels für die Machtaufrüstung des Empire reduzieren, im Taz-Interview vom 18.3.02 wird Tacheles geredet. "Statt eines Außerhalb, das widersteht, haben wir heute ein produktives Innerhalb. Widerstand ist heute kein tauglicher Begriff mehr für die Schaffung einer Alternative." "Interaktive und kybernetische Maschinen werden zu neuen künstlichen Gliedern, die in unsere Körper wie in unser Denken und Fühlen integriert sind, und sie werden zu einer Linse, durch die wir die Umgrenzungen unseres Körpers wie unseres Denkens und Fühlens selbst neu wahrnehmen. Die Anthropologie des Cyberspace ist in Wirklichkeit das Erkennen der neuen Menschlichkeit."(S. 303) Die komplementären Funktionen dieser neuen Menschlichkeit werden von der "affektiven Arbeit", der "Gefühlsarbeit" geleistet (mit den darin neu begründeten sexistischen Zurichtungen setzen sich H/N erst gar nicht auseinander), von persönlichen Dienstleistungen, fürsorglicher Arbeit etc. "Affektive Arbeit produziert soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaft, der Biomacht...In jedem dieser Typen der immateriellen Arbeit steckt die Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst. Immaterielle Arbeit beinhaltet unmittelbare soziale Interaktion und Kooperation. Der kooperative Aspekt der immateriellen Arbeit wird mit anderen Worten nicht von Außen aufgezwungen oder organisiert, wie es in früheren Formen der Arbeit der Fall war, sondern die Kooperation ist der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent....Das kooperative Vermögen der Arbeitskraft (und insbesondere der immateriellen Arbeit) hingegen bietet der Arbeit die Möglichkeit der ÇSelbstvwerwertungë. Die Hirne und Körper brauchen auch weiterhin die anderen, um Werte zu produzieren, doch die anderen, die sie brauchen, stellen nicht mehr notwendigerweise das Kapital und seine Fähigkeit, die Produktion zu orchestrieren."(S:. 303, 305) Die selbstverwertende Verschmelzung der Hirne und Körper der Multitude feiern H/N als "Befreiung der Arbeit" und in der Arbeit. "Diese Gemeinsamkeit ist...ein Projekt, in das die Multidtude, die Menge völlig eingeht. Das Gemeinsame ist die Fleischwerdung, die Produktion und die Befreiung der Menge." (S.314) Im Gefolge der ständig wiederholten Verschmelzungsgesänge wird dann zu guter Letzt auch die Endfunktion des Proletariats festgeschrieben: "Die Entstehungsprozesse eines neuen Proletariats, die wir nachgezeichnet haben, überschreiten hier eine entscheidende Schwelle, wenn die Menge sich selbst als maschinisch erkennt..."(S.411). Würg.

Der maschinenpoetische Rausch der Verschmelzung der Körper und Hirne zu einer einheitlichen produktiven Subjektivität durchwabert das ganze Buch zu seinem Klimax im rauschhaften Schlussakkord. Was wird aus dem Widerstand gegen diese Einvernahme? Wenn H/N schon am Anfang den Nazi Carl Schmitt für die Souveränität des Empire in Anspruch genommen haben, hier wirdís brisant. "...Arbeit erscheint schlicht und einfach als die Macht zu handeln ...Alles was diese Macht zu handeln blockiert, ist nichts als ein Hindernis, das man zu überwinden hat óein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte der Arbeit und die leidenschaftliche Alltagsweisheit der Affekte umgangen, geschwächt und zerschmettert wird (S. 366, 367, Hervorhebungen von mir). In dieser Definition der Handlungsmacht berufen sich H/N ausdrücklich auf Nietzsche und seine "Genealogie der Moral" mit ihrer Propaganda von "Vergewaltigen und Vernichten...als Mittel, größere Machteinheiten zu schaffen."(10) Es liegt genau in dieser Logik, wenn auf derselben Seite die nunmehr abzuschüttelnden Mächte des Geld- und Finanzkapitals unter der Überschrift "Parasit" geoutet werden, "ein Parasit jedoch, der seinem Wirt die Kraft aussaugt, gefährdet seine eigene Existenz. (S. 367, 369) Das Bild des Geldkapitals als blutsaugender Parasit des produktiven Gemeinschaftskörpers, wir kennen es vor allem aus der faschistischen Frühphase des NS. Franz Neumann, dessen "Behemoth" noch immer zum Besten gehört, was über den NS geschrieben wurde, hat derartige Theorieversatzstücke als pseudomarxistische Elemente der nationalsozialistischen Ideologie einer genauen Analyse unterzogen und Rechtspressechef Dr. Dietrichs Rede zu den "Geistigen Grundlagen des neuen Europas" wie folgt zitiert: "...durch den Schleier des Geldes hindurch" hat der Nationalsozialismus "den ökonomischen Kraftkern gefunden...die menschliche Arbeit als die alles belebende Grundlage", eine "Herrschaft der Arbeit über das Geld, ohne ihn (den Arbeiter, D.H.) zum Kampf gegen seine herrschende Klasse zu zwingen, ganz im Gegenteil ist er eingeladen, an ihren materiellen Vorteilen als Teil einer riesigen Maschine teilzuhaben."(11)

Sicher: im postmodernen Zyklus ist ein historischer Moment noch nicht erreicht, in dem sich die Frage nach seiner neofaschistischen Wendung stellt. Aber auch im Take-off zum fordistischen Zyklus kündigte diese sich durch futuristische und technokratisch orientierte Ideologien (durchaus durchtrieft vom Jargon der Revolte) neuer Eliteformationen schon vor dem ersten Weltkrieg an, die von der technischen bis hin zur philosophischen Intelligenz reichten. Zeev Sternhell, Jeffrey Herf, Geoff Eley, Charles Maier haben uns genug darüber berichtet, um uns auch jetzt hellhörig zu machen. In geschichtliche Analogien wachrufender Weise entwirft "Empire" einen historisch-philosophischen Pfad der komplexen Machtentwicklung einschließlich der restlosen Einvernahme des sozialen und Klassenwiderstands. N/H formulieren es als ideologisches Angebot an Teile des linken Spektrums, ihre hegemonialen Energien als neue Experten eines globalisierten sozialen Erschließungsraums in den Formierungsprozess einzubringen. "Teilhabe" lautet der Lockruf und spekuliert neben der Machtteilhabe auch auf die Müdigkeiten in der Linken, minoritär zu bleiben. Linke, die sich angesprochen fühlen, sollten sich daher kritisch überprüfen, in welchen Funktionen (vor allem der neuen technologischen Zugriffe und globalisierten Sozialarbeit) sie sich in die innovativen Vernetzungsprozesse des postmodernen Zyklus einbringen wollen, und vor allem wo: in der Unterstützung oder im Widerstand. Es ist ihr praktisches "Begehren" (in H/Ns Terminologie), das den Kopf ausrichtet, nicht etwa die Theorie. Auch der Umbruch vor 1914 ist von gewaltigen Schüben von links nach rechts geprägt gewesen. Der "Empire"-Diskurs ist nur ein Symptom, ein spekulatives Exerzierfeld für Einstellungsverschiebungen, an dem wir solche Richtungsänderungen ablesen können. Was meinst DU? Die "Frankfurter Allgemeine" haben H/N jedenfalls ówie das Buchcover stolz ausweist- schon auf ihrer Seite.

____________________________
Endnoten: Zum Textanfang

(1) Dies ist die konzentrierte Kurzfassung eines umfassenderen Textes: Detlef Hartmann u.a., Rechtsruck in der Linken (Arbeitstitel). Er erscheint in diesen Tagen als Sonderband der "Materialien für einen neuen Antiimperialismus" im Verlag Schwarze Risse/Rote Straße.

(2) Jetzt auch in Deutschland: M. Hardt, A. Negri, Empire, Frankfurt/New York 2002

(3) M. Foucault, Der Wille zum Wissen, Frankfurt/M., 1983

(5) Vorlesung 1981, abgedruckt in Dits et écrits, II, Paris 2001, S. 1001-1019.

(5) "Wissen", Teil IV und V, "Mailles" passim

(6) M. Foucault, Le Sujet et le pouvoir, Dits et écrits, II, S. 1041, hier: S. 1061

(7) Gilles Deleuze, Foucault, Frankfurt/M. 1992, S. 125

(8) M. Foucault, Précisions sur le pouvoir. Réponses à certains critiques, Dits et écrits, II, S. 626, hier: 630,631

(9) B. Spinoza, Der politische Traktat, in der Übersetzung von J. Stern, Stuttgart 1906, Elftes Kapitel §§ 3,4; auch im Teil Vier der Ethik ist von Bürgern die Rede.

(10) Ich habe die Bedeutung Nietzsches für den NS und den gegenwärtigen Umbruch in einer Reihe von Arbeiten analysiert, nachzulesen unter www.materialien.org.

(11) Franz Neumann, Behemoth, Frankfurt/M., 1984, S. 237,240.

Der Text erscheint im Mai 2002 in der Zeitschrift "alaska" des Buko