Detlef Hartmann

Neuer "Drang nach Osten"

"Drang nach Osten", wo würden Sie diesen Titel ansiedeln? Es klingt vertraut eindeutig: vielleicht der Titel zum 8532.ten Buch über die deutsche Expansionspolitik unter Wilhelm II.? Vielleicht eine Arbeit über Stresemanns Politik der Westbündnisse als Absicherung einer neuen aggressiven Ostpolitik? Oder über die geopolitischen Strategien Nazideutschlands zur Herstellung einer "Neuen Ordnung" weit über den Ural und den Kaukasus hinaus? Weit gefehlt. Es ist die Überschrift über einen Artikel, in dem der Osteuropaexperte der "Zeit" Michael Thumann die viertägige Reise des Außenministers Fischer vom 20.bis 24. Mai in die Kaukasusrepublik Aserbaidschan und die zentralasiatischen GUS-Staaten Kasachstan und Usbekistan kommentiert. Nein, nein, schwächt er die offenbar mit Vorsatz geweckten Assoziationen gleich ab, kein imperialistisches "great game" wie im 19. Jahrhundert, kein Fall von linkem Wilhelminismus, es geht nur um Öl für Europa. Schon bei der Frage nach deutschen Interessen im Kaukasus würden ja die Berliner Politiker eher erschrocken zusammenzucken. Würden sie absolut nicht, das weiß Thumann besser. Sicher geht es auch um Öl. Aber das ist nur ein Aspekt. Der Besuch Fischers eröffnet eine neue Etappe in einem langjährigen machtpolitischen Aufmarsch in Zentralasien, der mit dem Kosovokrieg erst richtig entfesselt wurde und in dem Deutschland als maßgeblicher Kern der EU die Initiative sucht. Zentralasien wird seit längerem durch die neuen Mächte als eine der politisch heißesten Regionen der Welt definiert, in der chinesische, mittelöstlich-muslimische, russische, europäische und auch amerikanische Interessen zusammenstoßen. Vielleicht die heißeste, wie schon der Aufsatz des ehemaligen amerikanischen Sicherheitsberaters Zbigniev Brzezinski "A Geostrategy for Eurasia" in der Septemberausgabe von Foreign Affairs 1997 suggerierte. Heiß nicht nur wegen der materiellen Interessenkonflikte, heiß vor allem wegen der kriegerischen Konflikte neuen Typs, die Zentralasien in den Augen des Auswärtigen Amts zum "eurasischen Balkan" machen und durch die sich Fischer zum Einstieg eingeladen sieht.

I "Great Game" auf dem "eurasischen Balkan", eine Phantasie aus Fischers Ministerium

Die große politische und propagandistische Bedeutung, die Fischer seiner Reise beimißt, wird deutlich vor allem aus ihrer Vorbereitung. Zehn Tage vor Beginn läßt er den Leiter seines Planungsstabes im AA Achim Schmillen in der FAZ vom 15. Mai einen ganzseitigen Aufsatz veröffentlichen, der an Grundsätzlichkeit und Brisanz alles in den Schatten stellt, was wir bisher an Verlautbarungen kennen. Schon die Überschrift ist an propagandistischem Pathos kaum zu überbieten: "Neues "great game" in Zentralasien? Die Stabilität der Region ist gefährdet-Europa sollte sich aus ökonomischen und sicherheitspolitischen Interessen engagieren".

Wie sehr es um den Einstieg in ein Kriegszenario geht, wird gleich in der Einleitung geklärt, die der Inititiative die kriegerische Definition der Situation geradezu aufprägt und den gesamten Text von hieraus aufbereitet. Unter Bruch mit allen Gepflogenheiten diplomatischer Zurückhaltung, die man aus dem AA gewohnt ist, ja ohne politischen, ökonomischen Lagebericht, beginnt der Artikel mit der weitreichenden Projektion eines militärischen Szenarios. "Im Jahr 2015 — ein mögliches Szenario: Die europäische Integration ist weitgehend abgeschlossen. Alle mitteleuropäischen Staaten sind Mitglieder der Europäischen Union. Die Nato-Ost-Erweiterung ist in enger Kooperation mit Rußland erfolgt. Die Ukraine kooperiert sehr eng mit dem Westen. Die anfänglichen russischen Bedenken gegen die Integration konnten zerstreut werden. Nun verläuft die Grenze des atlantischen Bündnisses und der EU entlang der russischen Föderation. Knapp fünf Jahre zuvor haben Gotteskrieger der Taliban in Afghanistan, nachdem sie die Nordallianz geschlagen und einen gewaltigen Flüchtlingsstrom in die zentralasiatischen Staaten hervorgerufen hatten, ihre fundamentalistische, religiös-fanatische Ideologie weiter nach Norden verbreitet. Die russische Hoffnung, den Expansionsdrang der Taliban durch die Anerkennung ihrer Herrschaft zu reduzieren, hat sich nicht erfüllt. Vielmehr sind die Taliban ihrem strategischen Ziel einen guten Schritt näher gekommen: die Kontrolle des Ferganatals, das in Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan liegt. Mit der Kontrolle des fruchtbaren Tals können sie die Produktion von Rohopium verstetigen, mit dem sie den europäischen Markt kontroliieren. Weil die europäischen Erdölfelder beinahe vollständig ausgebeutet sind, werden die Vorkommen in Kasachstan und Turkmenistan immer wichtiger. Die Pipelines, die vor wenigen Jahren fertiggestellt wurden, haben eine überragende Bedeutung für Europa."

Es ist die Projektion, man kann auch sagen: die Zukunft einer Kriegsfront. Und diese Front wird vor allem sozial definiert, als Einstieg in eine neue Phase des sozialen Kriegs.

1 Feinderklärung und sozialer Krieg

Wie sehr die Kriegsprojektionen sich sozial definieren —und umgekehrt- zeigt das erste Drittel des Artikels. Der Blick auf die sozialen Verhältnisse, die Produktions- und Reproduktionsformen, Hoffnungen und Erwartungen wird radikal eingeengt. Schmillens Blick redutziert sie auf Clans, ihren Klientelismus, Nepotismus, auf kriminelle Schmuggler, Waffen- und Rauschgifthändler, militante, islamisch-fundamentalistische Banden, die an den Strippen des Terroristen und Weltfeindes Nr. 1 Ibn Ladins Zentralasien mit der Talibanisierung bedrohen, alle als kriminelle Akteure in den hilflos zerbrechenden Gehäusen brüchiger und zerfallender Staatlichkeit. Es ist dieser Blick, unter dem Zentralasien zum "eurasischen Balkan" wird, als Situationsdefinition, Matrix der Feinderklärung und Einladung zur Intervention in einem. Zugleich wird in dieser definitorischen Verengung auf neue Formen kriegerisch-sozialer Gewalt schon zu Beginn die Nähe zu Putin hergestellt, der im Tschtschenienkrieg wider besseres Wissen die gesamte tschetschenische Bevölkerung zu Terroristen gestempelt hat, Anhänger eines militanten "wahhabitischen" Fundamentalismus. Sie prägt den Einstieg ins "great game" in Zentralasien. Der Begriff "great game" wird so aus den früheren territorial und rohstofforientierten Vorstellungen herausgeführt und an den aktuellen Anforderungen sozialer Verwertung und ihrer Sicherheit modernisiert. Was Fischer als "geostrategisches" Konzept für eine neue Ordnung der Region vorschwebt, ist bei Schmillen wohlweislich nur vage in den Dimensionen der Sicherheitspolitik, Transportsicherheit und in der Auseinandersetzung mit den anderen großen Spielern China, Rußland, USA umrissen. Um es deutlicher werden zu lassen, müssen wir den Weg vom Nato-Überfall auf dem Balkan zum Kriegszenario des "eurasischen Balkans" kurz nachzeichnen.

2 Vom südosteuropäischen Balkan zum eurasischen Balkan.

Es ist verblüffend und selbst einer ideologiekritischen Analyse wert, wie hartnäckig sich die diskursive Bearbeitung des Kosovokriegs noch immer im ethischen Gehege der Spielwiese festhalten läßt, die eigens hierfür hergerichtet und abgesteckt scheint. Raczak ja oder nein, Menschenrechte ja oder nein, Ethikbomben gerechtfertigt oder nicht? Fischer, der geübte Vortänzer dieses Reigens, wird’s mit Vergnügen beobachten. Vor gut einem Jahr hat er uns dazu schon vor einen weitgehend unbemerkt gebliebenen Witz geliefert. Auf die zuvor im "Spiegel" geäußerten Befürchtungen, er werde amtsmüde und auch zu dick, erschien im Kölner Stadt-Anzeiger am 3.5.00 unter der Überschrift "Der Attackierte schlägt zurück" die Zusammenfassung eines Gesprächs mit dem Herausgeber Neven DuMont über seine Einstellung zum Kosovo- und Tschetschenienkrieg. Ohne Eingreifen der Nato im Kosovo, so wird er zitiert, wäre Osama bin Laden, der arabische Multimillionär und mutmaßliche Förderer des Terrorismus, heute in den Flüchtlingslagern der jugoslawischen Provinz aktiv. Eine Talibanisierung habe dort gedroht, Zustände wie in Afghanistan mithin.

Das war erfrischend neu: Bin Laden im Kosovo? Vielleicht hatte Fischer ja die Insiderinformation, daß Milosevics heimlich zum Islam übertreten wollte, um dann zum Dschihad gegen die drohende Bekehrungswelle der Albaner zum Christentum anzusetzen? Dann wären die Moralbomben auf die falschen gefallen, die dann doch wieder die richtigen waren, wegen der Talibanisierung. Spaß beiseite, es ist ein Schlüsselwitz. Er klärt uns nicht nur darüber auf, mit welchem Hohn und Zynismus der ethische Diskurs aufgetischt wurde. Er führt uns geradewegs in des Pudels Kern: die Strategie der Feinderklärung und Feindproduktion als Technik des Politischen auf den historischen Linien des Nazis Carl Schmitt.

Wenn Fischer und Schmillen den Balken und Zentralasien zu einer Frontlinie der Feinderklärung verschmelzen, so liegen dem sozialstrategische Vorstellungen zugrunde, die seit vielen Jahren Situationsverständnis und Politik des globalen Umbruchs der Verwertungsbedingungen beherrschen. Die Politik der neoliberalen Schocks, und der sie begleitenden Rustungs- und militärischen Initiativen seit Reagan haben weltweit zu einem Zerfall des sozialökonomischen Gefüges des keynesianischen "Ancien Regimes" und seiner staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen geführt. Die zerbrechende oder "brüchige" Staatlichkeit ("failing states"), auf die sich auch Schmillen beruft, ist Produkt dieser Schockpolitik, einschließlich ihrer Folgen: die sich aus den zerbrechenden Formen entfesselnden Energien neuer Akteure (Warlord-, Milizen-, Bandenstrukturen), Gewalt-, Konflikt- und Bemächtigungsformen (auch der ethnisierenden Vergemeinschaftung) wie sie in den neuen afrikanischen, asiatischen, lateinamerikanischen Konflikten bis —in den jugoslawischen Kriegen- an Mitteleuropa und in den Peripherien der zerfallenden Sowjetunion und bis nach Rußland hinein ihren Ausdruck gefunden haben. Bayart, die Brüder Rufin in Frankreich, die neue deutsche Soziologie der Gewalt von von Trotha bis zu Dahrendorf, die Theorie der neuen Kriege als "low intesity conflicts" unter der Inspiration van Crevelds, um nur einige zu nennen, sie alle haben das weltweite Spektrum neuer Gewalt in ihren ähnlichen Ausdrucksformen als Transformationsmedium, als Ausdruck dieses Umbruchs, je geradezu als Modernisierungsphänomen beschrieben. Wenn die Probleme von Sicherheit und Unregierbarkeit in Südosteuropa und auf dem "eurasischen Balkan" in den Clanstrukturen, den kriegerisch-kriminellen Banden, den mafiösen "Gewaltmärkten", der religiös gewandeten Gewalt islamistischer (und auch christlicher) Milizen etc. gesucht werden dann liegt die Vergleichbarkeit in diesem Hintergrund begründet. Da sie ein Transformationsphänomen und auch ein Produkt der Schockoffensiven sind, tragen auch die oftmals rassistischen Projektionen aus der westlichen Beobachterperspektive ideologischen Charakter. Die Ethnisierung etwa ist nicht der Ausdruck ethnischer Traditionen, sondern der aggressiven Energien aus ihrem Zerfall, was auch das Paradox früheren friedlichen Zusammenlebens auflöst. Die Clanstrukturen der Banden in ihrer Aggressivität auch gegen "eigene" Clanmitglieder haben sich aus den moralisch-ökonomischen Gefüge der alten Gesellschaftlichkeit mit ihren kommunitären Garantien, checks und balances irreversibel herausgelöst. Der aggressive Islamismus der neuen "Terroristen" ist der Inbegriff politisch-kultureller Kräfte, die sich aus den tradierten Formen der Volksreligiosität entfesseln.

All das ist aus einer Vielzahl von Analysen wohlbekannt, Fischer und Schmillen allein aus den äußerst fachkundigen Berichten des inzwischen zum hauseigenen Think-Tank avancierten "Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien". Die soziale Feind- und Kriegserklärung sehr vielschichtig und umfassend. Nachdem die Schockpolitik für Zerfall und neue Kriege gesorgt hat, unterwirft diese Einengung der Situationsdefinition ganze Regionen und Gesellschaften in allen ihren sozialen Bereichen dem Sicherheitsaspekt, dem Verdacht des Terrorismus und des organisierten Verbrechens und die Menschen dem kulturpolitischen Verdikt rückständiger kriminogener "tribalistischer" Mentalitäten. Mit der Ausweitung vom Balkan auf Zentralasien nimmt diese Feinderklärung und die damit verbundene Option des totalen Zugriffs endgültig geopolitische und großraumpolitische Dimensionen an.

Auf dem Balkan wurde dieser Zugriff unmittelbar mit Kriegsbeginn im Sinne einer großrraumorientierten Totalrationalisierung umgesetzt. Schon vier Wochen nach Kriegsbeginn lancierte die EU über ihren zentralen Think-Tank, das Center for European Policy Studies CEPS) ein Strategiepapier mit dem Aufriß des Stabilitätspakts. Es war die Blaupause zum "big bang", dem großen, umfassenden Schlag auf dem Balkan, die "radikale Lösung" aus einem Guß. Im Betrieb eines regionalen Soziallabors werden — unter den Bedingungen extremer Armut und Aufrechterhaltung einer polizeilich moderierten sozialen Konfliktualität- alle Aspekte sozialer Reproduktion an den Anforderungen des europäischen Kerns neu ausgerichtet: von der Industrie-, Infrastruktur- und Verkehrspolitik über das Geld- und Kreditregime, das neue "zivilgesellschaftliche" Sozialkommando am Grundmodell der Public-Private-Partnership (PPP) unter Einbeziehung der NGOs bis hin zum "gender streamlining" einer neuen Geschlechtsrollenpolitik. Der Generalnenner wird schon im Strategiepapier unverfroren offen genannt: die Auflösung aller tragenden Momente staatlicher Souveränität in der Unterstellung unter das europäische Regime, das seinen Kommandohöhen durch diesen Zugriff einen enormen Machtschub verleiht —der materielle Kern dieses vor allem in Deutschland so genannten "Einigungskriegs".

Es ist die totale Feinderklärung, die auch der Übertragung aller gewaltsamen Reorganisationsimpulse aus der Logik des Kosovokriegs in den Tschtschenienkrieg und die innerrussische "Erneuerung" unter Putin seinen gewalttätigen Kern verleiht. In Anbetracht der ökonomischen, institutionellen und miliärischen Schwäche nach 9 Jahren neoliberalistischer Schocktherapie wäre —bei aller Gegnerschaft- eine wirksame Blockierung des Natokrieges und des damit verbundenen geopolitischen Machtaufmarschs chancenlos gewesen. Es kam hinzu, daß demonstrativ am Rande des mit Beginn des Kosovokriegs in Washington zelebrierten Nato-Gipfels die usbekische Regierung zusammen mit den anderen Staaten der als GUAM bezeichneten Gruppierung in Kooperationsformen der Nato und des Rats für euro-atlantische Partnerschaft einbezogen und damit zugleich die zentralasiatische Front eröffnet wurde. So übernahm der frisch ernannte Putin den "Kampf gegen den internationalen Terrorismus" und die islamische Gefahr als zentrale Feinderklärung in der Logik des Kosovokriegs zur Leitidee innerrussicher Erneuerung und geopolitischer Integration. Bereits auf der von ihm selbst angeregten Tagung mit Innenministern der drei südkaukasischen Staaten Ende September/Anfang Oktober beschwor Putin die logistischen und ideologischen Verbindungen zwischen den terroristischen Aktivitäten auf dem Balkan, im Kaukasus und Zentralasien, "Glieder ein und derselben Kette" in einer "einzigen Terrorismusfront" (so sein Verteidigungsminister). Putin inszenierte den Tschetschenienkrieg folgerichtig als Krieg inn/errussischer Einigung und Erneuerung gegen den sozialen Feind, den islamisch-fundamentalistischen als "Wahhabismus" etikettierten Terrorismus. Es war eine Feinderklärung gegen die gesamte Bevölkerung, die nach neuen Schätzungen im Krieg von einer Million auf 200 000 sank. Ausdrücklich orientiert an den Formen des Kosovokriegs wurde er schon im Oktober mit seinen flächendeckenden Bombardements (von antiterroristischen Operationen keine Spur) auf Dörfer und Städte und seinen Filtrationslagern unter Verallgemeinerung des Terrorismusverdachts in völkermörderische Dimensionen vorangetrieben.

Es liegt in der Logik der Strategien, daß diese soziale Feinderklärung auch die zentrale Linie westlicher Kooperation bestimmt. Wenig beachtet, fand um den 20.Oktober 1999 in Moskau ein G8-Treffen unter hochrangiger deutscher Beteiligung gerade zur Zeit des ersten Kriegshöhepunktes im Massaker durch die Bombardierung Groznys statt. Zentrales Thema war der gemeinsame Kampf gegen den Terrorismus propagiert. Weit entfernt von wirklicher Kritik fand Fischer gerade in diesem Punkt nach seinem Moskaubesuch im Januar 2000 in Anbetracht der öffentlichen Rügen durchaus warme Worte für Putin. "Die russische Seite weist zu Recht auf den Terrorismus hin. Der islamische Terrorismus ist keine Alternative. Es ist eine schwierige Situation. Aber umso wichtiger ist meines Erachtens auch die Einbindung der internationalen Gemeinschaft" "Wir hatten ein sehr ausführliches, sehr langes, sehr intensiven Gespräch, sehr offen auch. Und ich denke mir, auf der Grundlagem, die die deutsch-russischen Beziehungen ausmachen, kann eine neue Generation doch vorankommen". Unbekümmert um die öffentliche Kritik tauchte dann im März eine Delegation des BND in Tschetschenien auf.

Und die "Wahhabiten", der islamische Terrorismus, die Talibanisierung? Hier wurde die Feindproduktion aus der Feinderklärung fast beispiellos offensichtich. Damals, ja sogar bis heute hat die Talibanisierung kaum Wurzeln in der tschtschenischen Bevölkerung geschlagen, auch wenn die Terrorisierung des Gesamtbevölkerung unter diesem Signum die Sympathien für den Islamismus etwas hat steigen lassen. Die außerordentlich gut informierte NZZ warnte mehrfach zur Vorsicht vor Übertreibungen und einer der seit Jahren bestinformierten Experten aus dem Bundesinstitut für ostwissenschaftliche Sudien Uwe Halbach fragte noch im letzten Jahr nach einem Besuch der Region ostentativ: "Wo sind denn nun die Wahhabiten". Wenngleich —so muß man auch hier betonen- die Feinderklärungen durchaus eine zunehmende Islamisierung bei den jungen Kerls der Armutsbevölkerung generieren.

Die Folge dieser geopolitischen Feinderklärung war fast zwangsläufig: Die CEPS stieg am 30.5.00 mit einem Vorschlag zu einem Stabilitätspakt für Zentralasien ein: moderater formuliert in Anbetracht der mächtigen globalen Mit- bzw- Gegenspieler im "great game", aber erkennbar auf der Linie des Balkan-Papiers vom April 99: im Kern Vorschläge zu Sicherheits-, Verkehrs-, Infrastruktur- und natürlich Rohstoffragen. Schmillen trägt dies wenig weiter. Seine Funktion ist offenbar, den Zugriffsanstruch Deutschlands als erster aus der EU aber für die EU in den Ring zu werfen. Die geopolitische Bedeutung unterstreicht Fischer, wenn er im Anschluß an seinen zentralasiantsichen Auftritt nach China weiterreist.

Es war der Sinn dieses Essays, den aus der Logik des Kosovokriegs nach Zentralaiatien getragenen kriegerisch-offensiven Charakter der geopolitischen Offensive zu beleuchten. Erneute Vorbereitung eines Angriffskriegs? Nicht im simplens Sinn einer einfachen Planung. Es ist die Fortsetzung der geopolitischen Logik des Kosovokriegs im Einstieg in eine fast klassische Politik der Spannung im weltpolitisch brisannten zentraasiantischen Konfliktbereich, der die weit beunruhigenderen Dispositionen eröffnet. Und den beunruhigenden Rückblick auf die historischen Kontituitäten. Soziale Feinderklärungen der geschilderten Art gelten seit Carl Schmitt als Kainsmal nazistischer Politik. Und hier hat es Fischer selbst an Hinweisen auf Korrespondenzen nicht fehlen lassen. Seit 1999 wird er nicht müde, den geopolitischen Charakter der Interventionen zu betonen. Der Begriff "Geopolitik" taucht bei ihm mit zunehmender Häufigkeit auf. Bei der bemerkenswerten Qualität politisch-historischer Beratung, mit der er sich versorgt, kann das kein Zufall sein. Der Begriff "Geopolitik" ist nun ein Deutschland tiefbraun eingefärbt. Von Rudolf Kjellen und Karl Haushofer aufbereitet, stand er für das imperialistische Programm nationalozialistischer Großraumpolitik und die Frontlinien seiner sozialen raumpolitisch orientierten Feinderklärungen. Einen weiteren Hinweis hat uns Fischer in seinem Bekenntnis zu Stresemann gegeben, so kritisch er es auch in der "Zeit" vom 3.2.2000 zu verpacken suchte. Stresemann war in jungen Jahren Mitglied des protofaschistischen "Alldeutschen Verbandes gewesen" und in der Kriegsökonomie des ersten Weltkriegs ein maßgebender Funktionär. Der französische Historiker Charles Bloch hat (neben vielen anderen) zurecht betont, daß die gerühmte Versöhnungspolitik Stresemanns nach Westen nicht nur halfen, Deutschland zur zweitstärksten Wirtschaftsmacht des Westens zu machen, sondern auch den Boden bereiten sollte für die Zukunft einer neuen Ost- und Südosterweiterung, kriegerische Optionen inbegriffen.

Eine neue Nazifizierung wird nicht in den alten Gewändern und Formen auftreten. Wir müssen uns allerdings bemühen, ihn neu lesen zu lernen.

 

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