Aus: AUTONOMIE. Neue Folge. Heft 14, 1985 (Verlag der Buchläden Schwarze Risse und Rote Strasse)

Redaktionskollektiv

Klassenreproduktion und Kapitalverhältnis

Im folgenden Text soll versucht werden, Überlegungen über das Verhältnis von Klassenreproduktion und -konstitution zum Kapital anzustellen. Dabei soll die Klassenreproduktion, so wie bei Marx, als Bestimmung der notwendigen Arbeitszeit im unmittelbaren Produktionsprozess verstanden werden, erweitert um die Dimensionen einer "reellen Subsumtion" der Reproduktionsarbeit unter das Kapital und des "Soziallohns". Denn dies ist für eine Analyse der gegenwärtigen Krisenpolitik, bei der es um die Reduktion des Soziallohnniveaus und um die Verringerung der notwendigen Arbeitszeit in gesellschaftlichem Maßstab geht, weit hilfreicher als die Frage nach einem Mehrprodukt, welches aus der Reproduktionsarbeit dem Kapital zufließe, wie sie die Bielefelder Feministinnen formulieren und durch eine Rententheorie zu beantworten suchen.

Bei diesen Überlegungen soll es auch um die Frage nach einer sozialrevolutionären Linie gehen. Aber darauf kann eine Antwort aus der wertmäßigen Analyse der Klassenreproduktion nicht gefolgert werden, so wenig wie aus jeder anderen theoretischen Anstrengung, die nicht die Grenzen der Kritik der politischen Ökonomie überwindet, nicht nur hinsichtlich der Thematisierung der Reproduktionsarbeit. Der "blinde Fleck" in der Marxschen Theorie ist nämlich ein doppelter: einerseits wird die Mehrarbeit im Reproduktionsbereich nicht beachtet, andererseits ist revolutionäre Subjektivität, ist Klassenkonstitution in einer ökonomischen Theorie nicht zu fassen.

Das Thema der Klassenkonstitution (welches in der Studentenbewegung immerhin als antiautoritäre Subjektivität aktualisiert worden war) ist bei den politischen Gruppen der frühen 70er Jahre verlorengegangen: wer die Klasse war, schien in ihren Kämpfen und Forderungen genügend ausgewiesen. Jetzt aber, nachdem die Niederlage der Arbeiterkämpfe in ihrem ganzen Ausmaß offenliegt, stellt sich das Thema neu. Und nachdem der Marxismus überhaupt nur noch bei einigen t~berlebten Relevanz hat, stellt es sich zugleich als Aufgabe der Rehabilitation und der Uberwindung der Marxschen Theorie. Hat revolutionäre Subjektivität, wenn sie schon für uns selbst nur existenzialistisch zu formulieren ist, in der metropolitanen Klasse überhaupt noch eine materialistisch auszuweisende Grundlage?

Die folgenden Thesen über den Zusammenhang von Produktion, Klassenreproduktion und Klassenkonstitution umfassen 1. die Etappe der ursprünglichen Akkumulation (die Arbeit ist formell unter das Kapital subsumiert, aber das Kapital ist noch nicht das allein bestimmende gesellschaftliche Verhältnis), 2. die Etappe der reellen Subsumtion der Arbeit (das Kapital ist zum gesellschaftlichen Verhältnis geworden, welches auch die Reproduktion des Proletariats bestimmt), 3. eine zweite Etappe der reellen Subsumtion, in der nicht nur die produktive Arbeit, sondern auch die Reproduktionsarbeit unter das gesellschaftliche Kapitalverhältnis subsumiert ist, schließlich 4. die gegenwärtige Krise, in welcher sich der Unterschied zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit überhaupt zu verwischen scheint.

Marx bestimmt den Lohn dem Wert nach an der Arbeitszeit, die aufgewandt werden muß, um die notwendigen Lebensmittel für den Arbeiter zu produzieren. Er radikalisiert die klassische politische Ökonomie, indem er auf den Unterschied zwischen Tausch- und Gebrauchswert der Arbeit, zwischen Arbeitsvermögen und produktiver Arbeit, verweist. Der erste Schritt der Analyse: auf dem Arbeitsmarkt tritt der freie Lohnarbeiter dem Kapitalisten gegenüber als Verkäufer seiner Arbeitskraft, deren Preis sich nach dem Wert der Produkte bestimmt, die er zur Erhaltung seiner Arbeitsfähigkeit auf dem freien Markt erwerben muss. Der Kapitalist kauft die Arbeitskraft nach ihrem Tauschwert und verwertet die Arbeit nach ihrem Gebrauchswert; er gewinnt Mehrwert. Das Proletariat selbst aber existiert als Naturgabe, so wie auch die handwerkliche Qualifikation der Arbeiter für die Manufaktur kostenlos tradiert worden war und im Tauschakt auf dem Arbeitsmarkt quasi kostenlos mitgekauft wurde. Die Arbeit, die für die unmittelbare Reproduktion des Proletariats selbst, für seine Aufzucht und Erhaltung, erforderlich war, ist bei Marx genauso wenig präsent wie in der klassischen politischen Ökonomie.

Der Wert der Arbeitskraft ist also nach Marx eines in ihr aufgegangenen Arbeitsquantums definiert, während die für die unmittelbare Reproduktion des Arbeiters erforderliche Arbeit als wertlos vernachlässigt wird. Die Kritik der politischen Ökonomie gibt vor, die kapitalistische Gesellschaft zu erklären, und doch enthält das Arbeitswertgesetz nur die halbe Wahrheit. Darauf bezieht sich die Kritik am "blinden Fleck" der Marxschen Theorie, wie sie von C.v. Werlhof und V. Bennholt-Thomsen formuliert wurde: es findet, sei es durch Überführung von Arbeitskräften aus agrarischen Subsistenzzusammenhängen in die Industrie, sei es durch "Selbstausbeutung" von Produktionsfamilien (Çayanov), sei es durch kostenlose "Liebesarbeit" metropolitaner Hausfrauen ein Transfer von unbezahlter Arbeit, Mehrarbeit also, in die Warenproduktion statt, der werttheoretisch in die Kritik der politischen Ökonomie einzubringen sei.

C. Meillassoux hat diesen Transfer am Beispiel der Rotationsmigration aufgedeckt und ihn als Arbeitsrente bezeichnet. Aber dieser Begriff ist wenig hilfreich, weil er historisch belegt ist für die Beschreibung feudaler Zwangsverhältnisse und das spezifisch Kapitalistische bei der Rotationsmigration nicht zur Geltung bringt. In der feministischen Theorie wurde dann, von C.v. Werlhof, ebenfalls eine Rententheorie aufgeboten, um die Aneignung kostenloser weiblicher Mehrarbeit durch das Kapital auch für den entwickelten Kapitalismus zu fassen. Sie wollte damit einen "Skandal unbezahlter Arbeit im Kapitalismus" aufwerfen, ohne jedoch daran zu denken, daß Arbeit im Kapitalismus noch nie bezahlt worden ist, weder männliche noch weibliche. Die Versuche, Reproduktionsarbeit als mehrwertproduktiv zu entschlüsseln, sind bei den Bielefelder Frauen genausowenig vorangekommen wie zuvor bei den operaistischen Feministinnen in Italien (M. Dalla Costa). - (Wollte man von Rente reden, so ließe sich allenfalls behaupten, daß regionale Verschiedenheiten der Klassenreproduktion in Form unterschiedlicher Lohnniveaus und unterschiedlichen Arbeiterverhaltens quasi als Differentialrente in die Kapitalakkumulation eingehen, soweit das Kapital unterschiedlich qualifizierte und reproduzierte Arbeitskräfte wie eine Naturgabe vorfindet und verwertet. Dies ist im transnationalen Akkumulationszyklus wesentlich, denn es ist gegenüber dem transnationalen Kapital nicht mehr sinnvoll, von einem "ungleichen Tausch" zwischen Nationalstaaten auszugehen, um das Ausbeutungsverhältnis gegenüber den drei Kontinenten zu beschreiben; die Nationalgrenzen markieren nur noch Zonen unterschiedlicher Reproduktion und Kontrolle des Weltproletariats.)

Marx hat in den Grundrissen die Arbeit als Nicht-Kapital und als lebendigen Nichtwert bezeichnet: der Arbeiter hat keinen Wert außer dem, der in ihm selbst steckt als Leben. Dieser Wert aber ist kein Arbeitswert für das Kapital. Das Proletariat wird als existierendes vorgefunden und steht dem Kapital aus sich selbst heraus antagonistisch gegenüber, weil es gegen die Entwertung seines Lebens kämpft. Die Existenz als freier Arbeiter setzt dessen Wertlosigkeit geradezu voraus:

"Als Kapital kann es sich nur setzen, indem es die Arbeit als Nicht-Kapital, als reinen Gebrauchswert setzt (aIs Sklave hat der Arbeiter einen Tauschwert, einen Wert, als freier Arbeiter hat er keinen Wert; sondern nur die Disposition über seine Arbeit, durch Austausch mit ihm bewirkt. hat Wert. Er steht dem Kapitalisten nicht als Tauschwert gegenüber, sondern der Kapitalist ihm. Seine Wertlosigkeit und Entwertung ist die Voraussetzung des Kapitals und die Bedingung der freien Arbeit überhaupt" (Grundrisse, S. 199f.)

Arbeit ist nicht Wert, sondern lebendige Quelle des Werts. Dies gilt für die produktive Arbeit des Mannes ebenso wie für die reproduktive der Frau.

Es existieren also in der Etappe der ursprünglichen Akkumulation, der formellen Subsumtion der Arbeit, zwei antagonistische Größen: der Arbeitswert einerseits und der in der lebendigen Existenz der Klasse liegende Nicht-Wert andererseits, welcher sich gegen das Kapital als Existenzrecht manifestiert. Dieses Existenzrecht wird durch die Ausweitung des Kapitalverhältnisses angegriffen und der Kampf gegen die Entwertung des Arbeiters im freien Lohnverhältnis, um ein Einkommen, das an anderen moralischen Maßstäben gemessen wird als am wertgesetzlich bestimmten Preis der Ware Arbeitskraft, um den Brotpreis, der ein Überleben aller garantieren muß, unabhängig von den Verwertungsinteressen des Kapitals: das ist der Motor des Klassenwiderstands im Zeitalter der Revolutionen. Der Arbeiter wird zum Antagonisten des Kapitals, indem er für sich existiert und einen Anspruch auf Überleben erhebt, Anspruch auf ein Einkommen, das sich aus "gerechtem" Lohn, aus Diebstahl, Marktrevolte, Parzellenanbau oder Plünderung herleiten mag, das aber jedenfalls an den eigenen konsumtiven Bedürfnissen gemessen wird und nicht an den produktiven des Kapitals. Dieser proletarische Lebensanspruch, der nur in einer ständigen Bereitschaft zum Aufruhr, im ständigen Kampf gegen das sich ausweitende Kapitalverhältnis aufrechterhalten werden kann, ist eine proletarische gesellschaftliche Macht gegen das Kapital; er verdichtet sich in den Revolten zur Forderung nach gerechtem Konsum des gesellschaftlichen Reichtums, zum "Bedürfnis nach Kommunismus".

Es wäre also ein Klassenbegriff zu entwickeln, in dem die Klasse nicht erst Produkt der produktiven Subsumtion unter das Kapital, sondern für sich schon vorher Produkt der Entwertung ihres Existenzrechts ist. Diese Klasse reproduziert sich außerhalb des Kapitals, in eigener Dynamik, und verteidigt ihre egalitären konsumtiven Standards. Die Klassenkonstitution resultiert aus dieser Selbstwertsetzung der Klasse in Konfrontation mit den Verwertungsinteressen des Kapitals, aus der Erfahrung des Kampfs um Subsistenz. Das Existenzrecht der Massen erscheint als grundlegender Widerspruch zum Kapital, als materieller historischer Widerspruch, viel eher als die Arbeit.

Auch Marx hat diesen lebendigen Widerspruch zum Kapitalverhältnis auf der Straße gesehen, bevor er in seiner ökonomischen Theorie, die eine Theorie der Niederlage war, die Geschichte vorwegnahm und die Klasse als variables Kapital selbst zum Bestandteil des Akkumulationsprozesses reduzierte.

Indem nun Marx weder die proletarische Reproduktion des Pauperismus und seines Existenzrechts zum Thema machte noch die zur Aufzucht und Erhaltung des Arbeiters notwendige Arbeit, vermochte er weder das Proletariat als Gesellschaftlichkeit von unten zu begreifen noch das Kapital als zerstörerisches gesellschaftliches Verhältnis; er beschrieb nicht eine Realität und Summe gesellschaftlicher Arbeit und proletarischer Ansprüche, sondern diese nur, soweit sie aus der Sicht des Kapitals als Wert gefaßt werden konnten.

Dieser "blinde Fleck" der Marxschen Theorie ist auch durch eine erweiternde Reformulierung der Kritik der politischen Ökonomie nicht ausfüllbar. Es könnte lediglich die Subsumtion des Existenzrechts der Klasse, ihrer Konstitution und ihrer Reproduktion, unter das Kapitalverhältnis beschrieben werden und revolutionäre Subjektivität bliebe lediglich als RestgröBe und Desiderat erhalten. Der "blinde Fleck" muß thematisiert werden als Begrenztheit der Kritik der politischen Ökonomie, und er muß belassen bleiben als aus dieser Kritik nicht ausfüllbar. Marx selbst hat, statt ein Buch über die Lohnarbeit zu schreiben, sein "Kapital" mit historischem Material gefüllt, und es scheint, als wäre in der Tat das Verhältnis von Klassenreproduktion und Klassensubjektivität zum Kapital nicht werttheoretisch, sondern nur sozialhistorisch zu entschlüsseln.

2

Dem Zeitalter der Revolutionen folgt die Blütezeit des Kapitals. Die Zerstörung der Subsistenzbasis des Pauperismus schreitet fort; durch Migration, Hungertod, polizeilichen Zwang wird der Pauperismus reduziert und in das gesellschaftliche Kapitalverhältnis als industrielle Reservearmee eingebunden. Das kapitalistische Bevölkerungsgesetz, das Marx im 23. Kapitel des "Kapital" beschreibt, subsumiert die Klassenreproduktion formell unter das gesellschaftliche Verhältnis. Die Reproduktion selbst mag eigengesetzlich und außerhalb bleiben, dennoch:

"Das Gesetz, welches die relative Surpluspopulation oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation im Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester ans Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. "

Subsumtion des Reproduktionsprozesses der Klasse heißt zugleich, daß ein zunehmender Anteil dieser Reproduktion aus kapitalistisch produzierten Lebensmitteln bestritten wird; und die Klassenproduktion wird selbst zur Reproduktion des gesellschaftlichen Verhältnisses. Der zweite Schritt der Analyse: der fiktive Tauschakt auf dem Arbeitsmarkt wird mit der reellen Subsumtion des Arbeiters unter das Kapital selbst zum Resultat des unmittelbaren Produktionsprozesses (Resultate, S. 86 ff.). Der Arbeiter ist nicht mehr frei, sondern einer ökonomischen Hörigkeit unterworfen, die er selbst produziert und reproduziert. Marx beschreibt die wesentliche Verschiedenheit von individueller und produktiver Konsumtion des Arbeiter ("In der einen gehört er als Arbeitskraft dem Kapital und ist dem Produktionsprozeß einverleibt; in der andren gehört er sich selbst und verrichtet individuelle Lebensakte außerhalb des Produktionsprozesses"); dies aber nur, um sie bei Betrachtung des gesellschaftlichen kapitalistischen Reproduktionsprozesses zur Fiktion zu erklären:

"In der Tat: die individuelle Konsumtion des Arbeiters ist für ihn selbst unproduktiv, denn sie reproduziert nur das bedürftige Individuum; sie ist produktiv für den Kapitalisten und den Staat, denn sie ist Produktion der den fremden Reichtum produzierenden Kraft...

In der Tat gehört der Arbeiter dem Kapital, bevor er sich dem Kapitalisten verkauft Seine ökonomische Hörigkeit ist zugleich vermittelt und zugleich versteckt durch die periodische Erneuerung seines Selbstverkaufs, den Wechsel seiner individuellen Lohnherren und die Oszillation im Marktpreis der Arbeit.

Der kapitalistische Produktionsprozeß, im Zusammenhang betrachtet, produziert also nicht nur Ware, nicht nur Mehrwert, er produziert und reproduziert das Kapitalverhältnis selbst, auf der einen Seite den Kapitalisten, auf der andern den Lohnarbeiter" (MEW 23, S. 598 ff.).

Auch Marx weiß, daß damit die historische Basis des Klassenwiderstands verloren geht; beherrscht das Kapital auch die Klassenreproduktion, so wird es auch mit dem Arbeiter zuerst nicht seinen Totengräber, sondern immer wieder sich selbst reproduzieren. Die revolutionäre Klassenidentität, die eine Selbstwertsetzung, als Nicht-Wert, außerhalb des Kapitalverhältnisses erforderte, als Kampf um das Existenzrecht, wird ihre materielle Grundlage verlieren:

"Es ist nicht genug, daß die Arbeitsbedingungen auf den einen Pol als Kapital treten und auf den andren Pol Menschen, welche nichts zu verkaufen haben als ihre Arbeitskraft. Es genügt auch nicht, sie zu zwingen, sich freiwillig zu verkaufen. Im Fortgang der kapitalistischen Produktion entwickelt sich eine Arbeiterklasse, die aus Erziehung, Tradition, Gewohnheit die Anforderungen jener Produktionsweise als selbstverständliches Naturgesetz anerkennt. Die Organisation des ausgebildeten kapitalistischen Produktionsprozesses bricht jeden Widerstand, die beständige Erzeugung einer relativen Überbevölkerung hält das Gesetz von Zufuhr von und Nachfrage nach Arbeit, und daher den Arbeitslohn, in einem den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechenden Gleise, der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse besiegelt die Herrschaft des Kapitalisten über den Arbeiter. Außerökonomische, unmittelbare Gewalt wird zwar immer noch angewandt, aber nur ausnahmsweise. Für den gewöhnlichen Gang der Dinge kann der Arbeiter den ,Naturgesetzen der Produktion' überlassen bleiben, d.h. seiner aus den Produktionsbedingungen selbst entspringenden, durch sie garantierten und verewigten Abhängigkeit vom Kapital. Anders während der historischen Genesis der kapitalistischen Produktion. Die aufkommende Bourgeoisie braucht und verwendet die Staatsgewalt, um den Arbeitslohn zu ,regulieren, d.h. innerhalb der Plusmacherei zusagender Schranken zu zwängen, um den Arbeitstag zu verlängern und den Arbeiter selbst in normalem Abhängigkeitsgrad zu erhalten. Dies ist ein wesentliches Moment der sog ursprünglichen Akkumulation. " (MEW 23, S. 765)

Den Verlust des primären Klassenantagonismus wird der Marxismus, den Sieg der Bourgeoisie vorwegnehmend, durch Anleitung eines gegenläufigen politischen Prozesses aufzuheben suchen: eine siegreiche Arbeiterklasse soll sich aus der Massifizierung des Produktionsprozesses und aus der Propaganda des wissenschaftlichen Sozialismus heraus bilden. Aber dieser wissenschaftliche Sozialismus kann zwar sehr wohl die Misere analysieren; nur, anzugeben, wie eine Klasse je aus dem Kapitalverhältnis wieder ausbrechen soll, wenn sie "jene Produktionsweise als selbstverständliche Naturgesetze anerkennt", vermag er nicht.

***

Im Verlauf der reellen Subsumtion "lernen die Arbeiter die Regeln des Spiels", sie erkämpfen Lohnstandards. Einem Teil von ihnen gelingt es, den Lohn so weit zu steigern, daß sie die Familie, die mit dem Verlust der vorindustriellen Subsistenzgrundlage zerschlagen war, neu begründen können, subjektiv und sexistisch als privaten Ort außerhalb des Produktionsverhältnisses.

In Deutschland hat die betriebliche Sozialpolitik für die Klassenreproduktion eine besondere Rolle gespielt. In den Krupp-Werkssiedlungen erfolgt die Reproduktion der Arbeiterfamilien - soweit sie nicht aus Kohlanbau und Karnickelzucht auf den zu den Wohnungen gehörigen Parzellen gewährleistet ist - aus variablem Kapital. Die notwendige Arbeitszeit im unmittelbaren Produktionsprozeß steht nicht mehr nur für die notdürftige Reproduktion des ledigen Arbeiters, bevor dieser, wenn er ausgelaugt ist, wieder in den Pauperismus zurücksinkt, sondern für die Lebensmittel für ihn selbst, für seine Frau und seine Kinder, und für die späteren Zahlungen der Pensionskasse.

Wenn nun die Arbeiterfamilien vom Lohn des Mannes leben können, so ist ihre Reproduktion vom Kapital bezahlt (nicht aber die Reproduktionsarbeit der Frau, genauso wenig die Arbeit des Mannes); das Kapital und der Arbeiter kommandieren eine weibliche Arbeitsleistung, die teilweise als Reproduziertheit/bessere Verwertbarkeit der männlichen Arbeitskraft im Lohn wertmäBig realisiert werden kann: vom Mann, in dessen lebendiger Existenz nun ein höherer Wert liegt als zuvor. Darauf gründet sich das sexuelle Gewaltverhältnis, das die Rekonstitution der proletarischen Familie von vornherein begleitet. Die weibliche Arbeitsleistung erscheint mit jeder Lohnerhöhung als Abzug vom Mehrwert und ist doch zugleich Voraussetzung für die Produktion relativen Mehrwerts durch disziplinierte, geordnet reproduzierte Arbeiter.

Während sich die formelle Subsumtion der Klassenreproduktion unter das Kapitalverhältnis im "kapitalistischen Bevölkerungsgesetz" ausdrückt, finden in den Werkssiedlungen tlbergänge statt zu einer reellen Subsumtion: die proletarische Reproduktion wird am Bild der bürgerlichen Familie orientiert und durch Werksbeamte überwacht. Soweit sich aber in den Werkssiedlungen doch eine proletarische Kultur ausbildet, etwa eine polnische; soweit Mobilität herrscht zwischen den Werkssiedlungen und Orten freier Reproduktion; in dem Maß also, wie das Konzept der Seßhaftmachung und Ausbildung ökonomischer Abhängigkeit nicht aufgeht, handelt es sich um eine vorerst nur formell subsumierte Reproduktion, die auch wieder außerhalb der Werkssiedlungen stattfinden könnte. Und die zweite Generation der seßhaft gemachten Arbeiterfamilien wird ein Jahrzehnt später ein mobiles Proletariat stellen, das im Ruhrgebiet unständig dem höchsten Lohngebot folgen wird und das mit der Zirkulation der Arbeitskraft auch die proletarische Autonomie verbreiten wird.

***

Während der Wert der männlichen Arbeitskraft steigt durch die Lohnkämpfe und weil die Reproduktion seiner Frau und durch seine Frau in ihn eingeht, findet ein zunehmender Anteil der proletarischen Selbstwertsetzung nun innerhalb des Arbeits- und Verwertungsprozesses selbst statt; nach der Wertseite hin ist die proletarische Reproduktion zunehmend an den Kampf um den relativen Lohn gefesselt. Gewinnt das Proletariat an Stärke, so kann es Standards erkämpfen, die über das Existenzminimum hinausgehen, eine Selbstwertsetzung innerhalb des Kapitalverhältnisses, in Form der Steigerung des relativen variablen Kapitalanteils, in Form eines für das Kapital unproduktiven und für die Arbeiter erfreulichen Konsums, eines moralisch und sozial bestimmten Lohnanteils, den wir "politischer Lohn" nennen könnten. Während die Arbeit im Produktionsprozeß reell subsumiert ist und auch die Reproduktion des Arbeiters selbst Resultat des unmittelbaren Produktionsprozesses, ist doch die Stärke der Klasse nicht allein an der Höhe dieses politischen Lohns abzulesen, am Verhältnis also zwischen toter und lebendiger Arbeit, an der Präsenz der Klasse als variabler Teil des Kapitals, sondern an ihrer antagonistischen Konstitution. Diese Konstitution ist nicht Resultat des Produktionsprozesses allein, mißt sich nicht am Grad der Vereinnahmung, sondern genau am Gegenteil: an der anarchischen Reproduktion der Unterschichten, die in erster und zweiter Generation dem Leben als Industriearbeiter fremd gegenüberstehen, und an der Bereitschaft, aus dieser Fremdheit heraus das gesamte soziale Verhältnis infrage zu stellen; sie mißt sich an der Aufsässigkeit und Mobilität, an der eigenen Dynamik des Proletariats. Während die Klasse um den politischen Lohn kämpft, steht sie zugleich auch außerhalb. Auch am Ende des 19. Jahrhunderts sind die Anforderungen jener Produktionsweise noch nicht als selbstverständliche Naturgesetze anerkannt, wie Marx es vorausgesehen hatte. Davon zeugen die Kämpfe um die Jahrhundertwende, die 1918-20 kulminieren. Die proletarische Autonomie erscheint als Sabotage in den Fabriken, als Lebensmittelrevolte und Massenaufstand in der Region; sie erscheint in einem sozialen Raum, der durch die Fabrik noch nicht eingeholt ist, und sie erfordert letztlich eine militärische Antwort.

Mit der formellen Subsumtion der Klassenreproduktion ist zwar durch ihre Reproduziertheit der Wert der individuellen Arbeitskraft gestiegen, noch aber ist die Transformation der Klasse an sich zu einem reproduzierten Wert innerhalb des Kapitalverhältnisses nicht durchgeschlagen.
 

3

Die reelle Subsumtion der Klassenreproduktion unter das Kapitalverhältnis ist eine der Antworten auf 1918/20, so wie deren formelle Subsumtion eine Antwort auf 1789/1848 gewesen war. Wie die Arbeitswissenschaften im Produktionsprozeß eine neue Etappe der Subsumtion der Arbeitskraft einleiten, so leitet die Sozial- und Bevölkerungspolitik, vom Sozialdarwinismus bis zur Sozialversicherung, ein neues Verhältnis zwischen Klasse, Kapital und Staat ein, welches im NS abgeschlossen wird. So wie der maschinell diktierte Arbeitsablauf gegen das Arbeitersubjekt gekehrt wird, wird der gesellschaftliche Raum bewußt gegen das antagonistische Klassensubjekt organisiert. Eingemauert zwischen Dreizimmerwohnungen, Schulen, Sozialfürsorgerinnen wird die Klasse zum "Humankapital" reduziert.

Es wird zur Funktion des Staats, das Verhältnis zwischen Klassenreproduktion und Kapitalakkumulation zu regulieren, die von der Klasse konsumierten Kapitalanteile in einen erweiterten Akkumulationszyklus einfließen zu lassen und zugleich die Klassenreproduktion zu ökonomisieren. Mit der Ausweitung der Sozialversicherungen subsumiert der Staat auch das Existenzrecht der Klasse in einem versicherungsrechtlichen Verhältnis. Aus der Rache für das erlittene Unrecht wird der "Generationenvertrag". Das ehedem antagonistische, unvermittelt dem Kapital gegenüberstehende Existenzrecht wird umgedreht zum Mittel kapitalistischer Reproduktion. Die autonome Klassenkonstitution wird damit ihrer moralischen und ökonomischen Grundlage beraubt; sie mag nun noch in der Erinnerung liegen, daß ein arbeitsames Leben und eine dürftige Rente doch nicht alles gewesen sein dürfen.

Die Auswirkungen dieses neuen Verhältnisses auf die Reproduktionsarbeit betreffen die Durchsetzung der familiären und der gesellschaftlichen Hausarbeit: zum einen also die Vergesellschaftung von Reproduktionsarbeit in Form neuer unterbezahlter Frauenberufe: Sozialarbeiterinnen, Krankenschwestern, Hebammen; zum anderen die Normierung der familiären Reproduktionsarbeit durch REFA, Hausfrauenschulung, Elektrifizierung der Haushalte. Die Hausarbeit selbst ist Resultat des Subsumtionsprozesses.

Reell ist die Subsumtion der Klassenreproduktion sowohl, weil sie die Reproduktionsarbeit nach Inhalt und Form verändert, sie unter gesellschaftliche Kontrolle stellt, sie vergesellschaftet und sie in steigendem Maß auch bezahlt, als auch, weil nun die zukünftige Arbeitskraft ebenfalls als zu reproduzierende erkannt ist ("erweiterte Reproduktion der Arbeitskraft"): es geht um Arbeiter, die zu kontinuierlicher Arbeit am Fließband in der Lage sind, um Frauen, die sie mit einem standardisierten Minimum an Suppe und Liebe versorgen (und die je nach Konjunktur auch ins Büro oder ans Band gestellt werden können), und um Kinder, die nicht vagabundieren oder revoltieren, sondern den Weg von der Schule in die Fabrik geordnet finden.

***

In den Wert der Arbeitskraft geht ein steigendes Quantum weiblicher Arbeitsleistung ein. Vor dem Staat, der sich als Eigentümer des Staatsvolks und als dessen Verwerter in letzter Instanz sieht, sind Mann und Frau gleichermaßen Humankapital; der Arbeitsleistung des Mannes wird die "Fortpflanzungsleistung" der Frau gegenübergestellt. Der Mann ist nicht frei, nachdem er seine Arbeitskraft für 10 Stunden verkauft hat: er bleibt Eigentum des Staats und begibt sich in einen deformierten Reproduktionszusammenhang. Und die Frau ist doppelt subsumiert: unter die Gewa1t des Mannes und unter die Gewalt des Staates.

Die Kosten für die reell subsumierte Reproduktion der Klasse sind Teil der notwendigen Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß. Dabei tut es nichts zur Sache, ob sie als Lohn des Mannes erscheinen, was die Regel ist, weil auf diese Weise die Klassenspaltung zwischen den Geschlechtern perpetuiert wird, als "Lohnnebenkosten", als Versicherungsbeitrag oder ob sie scheinbar aus Revenue bezahlt werden wie die Lehrergehälter und die staatlichen Sozialleistungen. In ihrer Summe stellen diese Kosten einen Lohnanteil dar, den wir "Soziallohn" nennen können. Mit diesem Soziallohn bezahlt das Kapital die Einordnung in einen kontrollierten Reproduktionszusammenhang, wie es mit dem Arbeitslohn die Unterordnung im Produktionsprozeß bezahlt. Dieses Konzept umfaBt die Klasse als Ganze, als zu Arbeits- und zu Reproduktionsleistung fähige.

Mit dem Soziallohn ist nicht nur die männliche Arbeitskraft bezahlt, sondern auch das weibliche Arbeitsvermögen. Und wie die produktive Verwertung der Arbeitskraft Arbeit und Mehrarbeit erheischt, so erheischt auch die Bezahlung des Reproduktionsvermögens Mehrarbeit. Durch Normierung der Hausarbeit und der reproduktiven Funktionen, durch die gesellschaftliche Hausarbeit der Sozialfürsorgerin, der Hebamme, der NS-Frauenführerin oder der Gemeindeschwester wird ein tägliches Arbeitsquantum definiert, welches zur Reproduktion der Familie erheischt ist. Aus der Verwertung produktiver Arbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß entsteht dem Kapital also doppelt Mehrarbeit: die des Mannes im Produktionsprozeß, die seiner Frau in der gesellschaftlichen Reproduktion. Zu dieser Mehrarbeit sind, neben der familiären und der gesellschaftlichen Hausarbeit, noch weitere Arbeitsformen zu zählen: sich ausbilden zu lassen, die immer komplizierteren Funktionen der individuellen Zirkulation zu erfüllen (Einkauf, Verkehr) usw.

Die Beziehung dieser reproduktiven Mehrarbeit zum Mehrwert, die Ankoppelung weiblicher Reproduktionsarbeit an das Wertgesetz also, scheint mir nur auflösbar zu sein, wenn dem Wert produktiver Arbeit ein zweiter Wert reproduktiver Arbeit gegenübergestellt wird, der in die Klasse selbst eingeht und zugleich das gesellschaftliche Kapitalverhältnis konstituiert. Was früher autonome Selbstwertsetzung der Klasse war, wird in den subsumierten Anteilen zu Reproduziertheit als Kapital. In dieser Reproduziertheit steckt ein Wert, der sich im unmittelbaren Produktionsprozeß realisieren muß:

"Der größte Teil des Volksvermögens steckt im Menschen selbst. Die Aufzucht der 65 Millionen deutscher Menschen hat weit über 1 Billion Goldmark, also über tausend Milliarden RM gekostet ... Die Bervölkerung rentiert sich, wenn sie mehr leistet, als sie kostet. " (Arch. f. Soziale Hygiene und Demographie VII, 79)

Die Reproduktion ist Abzug vom Mehrwert, aber als Wiederherstellung der geschundenen Arbeitskraft und als spezifische Ausbildung zukünftiger Arbeitskräfte Voraussetzung für die Produktion relativen Mehrwerts auf erweiterter Stufe.

Das proletarische Arbeitsvermögen enthält also einerseits den Wert der bezahlten Reproduktion im gesellschaftlichen Maßstab, soweit dieser als notwendige Arbeitszeit, Soziallohn, im Produktionsprozeß sich niedergeschlagen hatte; es enthält zweitens ein Äquivalent weiblicher unbezahlter Mehrarbeit, die als Verwertbarkeit im aktuellen wie im zukünftigen Akkumulationszyklus erscheint, als Eigenschaft/Konstitution des Arbeiters. Dieses Äquivalent ist arbeitswertmäBig nur insoweit zu fassen, wie es als Lohn und Soziallohn von der Klasse und zumal von den Frauen erkämpft/realisiert wird.

* * *

Wie dem Proletariat äußerlich die entfremdete tote Arbeit vergegenständlicht als Kapital gegenübertritt, so lastet in ihm die akkumulierte entfremdete Reproduktionsarbeit, die als kapitalistische Reproduziertheit die Klasse als Humankapital konstituiert, wie sie in ihrer ganzen Existenz dem Kapitalverhältnis verhaftet ist. Stand noch eine Generation zuvor die Klasse dem industriellen Prozeß ihrer Konstitution nach fremd gegenüber, so gehen ihre sozialen Bedürfnisse nun tendenziell in Konformismus und Konsum auf (in Deutschland ist dies die Erbschaft des NS). Eine UFA-Schauspielerin, die ein standardisiertes Glück auf die Leinwand projiziert, produziert nicht nur Mehrwert für die Filmgesellschaft, sondern zugleich einen reproduktiven Wert, der sich als Ausweglosigkeit und unterlassener revolutionärer Ausbruch auf die Klasse legt. Selbst noch die Kosten nazistischer Propaganda sind Kosten der Klassenreproduktion.

Der Soziallohn hat einen Doppelcharakter, als erkämpfter Lohn und als Voraussetzung erweiterter Subsumierbarkeit. Hier liegt die Verbindung zur ökonomischen Theorie von Keynes, welche die Klassenforderungen als "effektive Nachfrage" in den Kapitalzyklus einbezog. Mit ihren Kämpfen erzielt die Klasse, bis zu einem bestimmten Punkt, auf immer neuer Stufenleiter eine erweiterte Subsumtion der Arbeit im Produktionsprozeß und im staatlich kontrollierten ReproduktionsprozeB. Die gesamte Klassendynamik, Krankheit, Lohnkampf, Delinquenz, Einforderung von Sozialgeldern, geht in die Soziallohnsumme ein als Kostenfaktor staatlicher Sozialpolitik und es bleibt tendenziell kein Raum mehr für eine Selbstwertsetzung, die auch außerhalb kapitalistisch/staatlicher Vermittlung noch stehen könnte. Die Klasse profitiert politisch noch lange vom moralischen Nachhall des 1918-20, aber sie scheint zu derartigen Ausbrüchen nach dem NS immer weniger in der Lage. Ihre Konstitution als variables Kapital ist mit der Vernichtung der "Gemeinschaftsfremden" abgeschlossen; erst im Kampfzyklus der späten 60er Jahre wird das Überbieten des Soziallohns mit neuen Forderungen neue Verhältnisse erzwingen. Die Selbstwertsetzung der Klasse innerhalb des Kapitals, als variables Kapital, als Soziallohn, erreicht ein Ausmaß, das mit keynesianistischer Politik nicht mehr einzuholen ist.

Wenn auch die Klassenkonstitution vollständig als Resultat kapitalistischer Reproduziertheit erscheint, so ist sie doch immer auch Produkt von Kämpfen. Homogenisiert durch die massenhafte Subsumtion in der Massenfabrikation und zugleich in den normierten Quartieren der Reproduktion, drehen sich diese Kämpfe um Lohn, Soziallohn und Sabotage, das ist nicht nur ein Kampf um die Steigerung des variablen Kapitalanteils, der gegenüber der akkumulierten toten Arbeit immer im Hintertreffen wäre; Sabotage ist, als Angriff gegen die tote Arbeit, gegen die technologische Gewalt des Kapitals, Selbstwertsetzung: proletarische Autonomie bedeutet Kampf um Einkommen und zugleich um selbstbestimmte Räume. Mit eigenen Lebensformen, mit proletarischer Identität aber vermag die metropolitane Klasse diese Räume nicht zu füllen, sie gewinnt, jenseits des abgewirtschafteten Marxismus-Leninismus, keine revolutionäre Konstitution zurück. Was den Türken bei Ford, den Hippies in Lordstown, den schwarzen Mummies in New York selbstverständlich ist: daß ihr Leben etwas anderes ist als Arbeit und Konsum, daß es für sie die treibende Kraft ist, das erleben die nachnazistischen Klassenschichten allenfalls als ferne Ahnung.

4

In den 70erJahren hat sich das Kapital auf transnationaler Ebene reorganisiert. Dieser Vorgang ist mit dem Begriff "Neue internationale Arbeitsteilung" nur unzureichend beschrieben, denn in der Tat ging es dabei um eine Abkoppelung der Kapitalreproduktion von der Reproduktion der metropolitanen Arbeiterklasse und damit um ein neues Verhältnis zwischen transnationalem Kapital, metropolitaner Klasse und nachkeynesianischem Staat, welches negativ als "Ende des Keynesianismus" leicht zu benennen ist, welches positiv in den Dimensionen einer neuen Staatsfunktion, der gesellschaftlichen Mehrarbeit und ihres Verhältnisses zum Akkumulationszyklus aber noch immer als analytische Leerstelle zu umschreiben ist. (Natürlich könnten wir von "Hausfrauisierung" sprechen, damit wäre ein Phänomen bezeichnet, aber für die Analyse noch nichts gewonnen.)

Ein wesentliches Merkmal der Krise, die seit Ende der 70er Jahre in den Metropolen durchgesetzt wird, ist die gesellschaftliche Organisation kostenloser Mehrarbeit im produktiven wie im reproduktiven Bereich und in einer Weise, daß beide Formen der Mehrarbeit ineinander verschwimmen: einerseits werden reproduktive Funktionen in den produktiven Kapitalzyklus integriert, andererseits werden ehemals bezahlte Funktionen in die kostenlose Mehrarbeit in den Familien abgedrängt.

* * *

Während das Kapital seine Mehrwertraten in transnationalem MaBstab neu kombiniert und das Lohnniveau trikontinentaler Länder gegen das metropolitane ausspielt und indem es dazu übergegangen ist, produktive Zentren weltweit in einen Zusammenhang mit Verarmung und Hunger zu stellen, die Weltmarktfabriken in den drei Kontinenten, die Zentren von "High Tech" in den Metropolen, ist hier der keynesianische Zusammenhang einer nationalstaatlich moderierten produktiven Klassengesamtheit brüchig geworden. Die transnationale Mehrwertkaskade vernutzt nur noch einzelne Klassensegmente unmittelbar produktiv; die Metropolenstaaten schließen die Lücke zeitweilig durch sozialstaatliches Deficit-Spending. Aber dies nur, um die Differenz zwischen dem transnationalen Durchschnittslohnniveau und dem gesellschaltlich bestimmten metropolitanen Lohnniveau durch einen sozialpolitischen Reorganisationsprozeß langfristig zu schließen. Dieser Prozeß ist in den USA im Boom seit 1980/81, in dem es weniger Arbeitslose, aber mehr Arme gibt, weiter vorangeschritten als in Westeuropa. Wie sich dort ablesen läßt, betrachtet das Kapital die gegenwärtige Krise als Durchgangsstadium zu einer erweiterten Verwertung metropolitaner Arbeitskraft und ist weit davon entfernt, es bei einem zeitweiligen Rückzug aus dem keynesianischen Verwertungszusammenhang zu belassen.

So liegt das Terrain des Krisenangriffs nicht allein in der technologischen Restrukturation der produktiven Arbeit, sei es in Form der Roboterisierung/Computerisierung der Fabriken, sei es in Form der produktiven Dezentralisierung/Arbeitsmarktsegmentation, sondern zugleich und vor allem im Angriff auf das gesellschaftlich bestimmte Lohnniveau, auf den Soziallohn. Es geht um die Senkung der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, wie sie sich als Abzug von der Mehrarbeitszeit in den unmittelbaren Produktionsprozeß projiziert. In diese waren bislang die Kosten der gesellschaftlichen Hausarbeit genauso eingegangen wie der Klassenkonsum und die Sozialansprüche. Deshalb wird die Abdrängung der gesellschaftlichen Hausarbeit in unbezahlte Verhältnisse genauso als Anstieg der metropolitanen Mehrwertraten zu Buche schlagen, wie die Ausdehnung der Mehrarbeit im unmittelbaren Produktionsprozeß und wie die Kürzung der Renten. Es wird eine gesellschaftliche Produktivität durchgesetzt, die sich am Ausmaß der produktiven und gleichermaßen der reproduktiven Mehrarbeit mißt. Demgegenüber wäre es ein Anachronismus, an der klassischen Trennung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit festhalten zu wollen.

Ein Problem unserer Erkenntnismöglichkeit: wir erkennen die Arbeit als solche an der Fiktion ihrer Bezahlung oder wenn sie als bezahlte zumindest denkbar wäre. Das geht auch den Feministinnen nicht besser, die Lohn für Hausarbeit gefordert haben oder auf den "blinden Fleck" verweisen. Unser Erkenntnisprozeß reflektiert nur das reale Ausmaß der Subsumtion. Die Reproduktionsarbeit und "Liebesarbeit" ist als Arbeit nur benennbar, soweit sie entfremdet und subsumiert ist. Erst, wenn wir die Reproduktionsarbeit von einer historischen Etappe her reflektieren, in der auch das weibliche Arbeitsvermögen kapitalistisch reproduziert ist, wird das Ausmaß an Mehrarbeit deutlich, mit der die Frauen zwangsweise die kapitalistische Akkumulation alimentiert haben. Und erst nun ist die Ausweitung reproduktiver Mehrarbeit selbst unmittelbar produktiv, weil sie in dem Maße, in dem sie einmal bezahlt war, die notwendige Arbeitszeit im unmittelbaren Produktionsprozeß tatsächlich reduziert.

In der Tat ist die metropolitane Krise nicht nur eine Antwort auf den "operaistischen" Kampfzyklus in den Fabriken, sondern zugleich eine Antwort auf die Krise der Reproduktionsarbeit, eine Krise, die sich in den USA als Sozialforderung der Claiming Mothers niedergeschlagen hatte und in der BRD als Verweigerung der Reproduktionsarbeit (Senkung der Geburtenrate). Sie ist die Antwort auf einen proletarischen Gebrauch des Soziallohns, wie er sich im Krankenstand in den Fabriken, in den Ansprüchen auf Frühberentung ausgedrückt hatte.

So bezieht sich auch die erste Etappe des Krisenangriffs, und das betrifft sämtliche metropolitanen Krisenregimes, auf die direkte Reduktion der Soziallohnanteile. Gemessen an den vorausberechenbaren Ansprüchen wurden in der BRD zwischen Ende 1981 und 1983 durch mehr als 250 steuer- und sozialrechtliche Änderungen um 180 Mrd. DM an Soziallohn der Klasse einbehalten. Dieser Angriff, der in erster Linie die Rentner traf und zwei Millionen "neue Arme", war nur der erste Schritt für die beabsichtigte Reorganisation der metropolitanen Gesellschaft.

Die Mechanismen, mit denen Soziallohn reduziert und gesellschaftliche Mehrarbeit organisiert wird, lassen sich erst in Ansätzen beschreiben. Zum einen geht es um den Rückstau reproduktiver Arbeit in die Familie: die Pflege von Gebrechlichen, das Subsidiaritätsprinzip in der Sozialhilfe, die Kürzung von Ausbildungshilfen und Renten, die Bewältigung der sozialen Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut werden als Forderung von Mehrarbeit den Frauen aufgebürdet. Zum anderen wird die Reduktion staatlicher Sozialleistungen durch Privatisierung sozialstaatlicher Funktionen geleistet Privatisierung von Kranken- und Behindertenanstalten, der Altenheime und Knäste, wobei das Sozialbudget zugleich privater Verwertung unterworfen und reduziert wird. Wo noch kürzlich Beschäftigte des öffentlichen Dienstes auf Kluncker setzten, arbeiten nun Zivis und Hausfrauen in Schwitzbudenarbeitsverhältnissen. Zum dritten ist die Erfassung und Planifikation von Gesellschaftlichkeit, von der Nachbarschaftshilfe bis zur Rationalisierung der Einkaufszentren, zur Planung des Verkehrs und der Wohnformen, darauf angelegt, gesellschaftliche Mehrarbeit und damit Senkung der Sozialkosten zu erzielen. Es handelt sich um die Rationalisierung reproduktiver gesellschaftlicher Abläufe und der Zirkulation. Die Projekte gesellschafts- und kommunalpolitischer Planifikation sollten deshalb, über ihren Charakter als Mittel der sozialen Isolation und der präventiven Aufstandsbekämpfung hinaus, als Institutionen der Arbeitsvorbereitung zur Erzwingung gesellschaftlicher Mehrarbeit analysiert werden. Schließlich wird Soziallohn auch reduziert, indem unproduktiven Minderheiten das Überlebensrecht überhaupt bestritten wird.

***

Darüber hinaus verweist schon die oberflächliche Betrachtung des gegenwärtigen US-Booms, der zwischen "High Tech" und "Fast Food" bzw. einem ausufernden "Dienstleistungssektor" sich abspielt, auf ein weiteres: auf die unmittelbare kapitalistische Verwertung von Reproduktionsarbeit. Wenn private Krankenhausgesellschaften Embryonen züchten, wenn in den USA 2/3 der Mahlzeiten außer Haus eingenommen werden, so ist dies, wie schon zuvor der Verkauf von Fertiggerichten, die direkte Einordnung ehemaliger Hausarbeit in die Produktion von Mehrwert. Freilich müssen diese "Dienstleistungen" aus Masseneinkommen finanziert werden; die hier zutage tretende Tendenz bezieht sich auf eine Restrukturierung des Konsumgütersektors.

Grundlage dieser kapitalistischen Verwertung von Reproduktionsarbeit ist die Verweigerung familiärer Hausarbeit durch die Frauen; in den USA sind derzeit die Scheidungsraten höher als die Heiratsquoten; es gibt eine breite Tendenz zur Singularisierung der Haushalte. Diese Zerstörung der proletarischen Familienzusammenhänge mag auch eine emanzipative Dimension für die Frauen haben, die sich der sexistischen Gewalt der Männer entziehen; aber doch fußt auf ihr eine qualitativ neue Etappe der Einvernahme der Frauen unter das kapitalistische Gewaltverhältnis. Wurden die Frauen bisher "mit Haut und Haar" subsumiert waren sie der sexistischen und psychischen Exploitation um so mehr ausgesetzt, je weiter die Reproduktionsarbeit der subsistenziellen Funktionen beraubt war - so wird die Klassenreproduktion nun in "Dienstleistungen" zergliedert und der Körper der Frauen zergliedert in Organfunktionen: vom "Fast Food" über die "Peep Show" bis zum Mietuterus wird das, was Pieke Biermann als Lohn für Hausarbeit gefordert hat, bedrückende Realität. Die Frauen werden nicht mehr nur mit Haut und Haar subsumiert, sondern viviseziert und stückweise verwertet.

Die differentielle Weltbevölkerungspolitik, die sich in den drei Kontinenten als direkte oder indirekte Ausrottung der Armen durch Aushungerung oder zwangsweise Geburtensenkung darstellt, verlängert sich in den Metropolen zu wahnwitzigen Züchtungsprojekten. Die Gen- und Biotechnologien bilden nicht nur einen qualitativ neuen Schritt in der globalen Kontrolle und Monopolisierung der Nahrungsmittelressourcen. Nach der Seite der unmittelbaren Reproduktion menschlichen Lebens hin findet zugleich eine Enteignung statt, die um so mehr akzeptabel gemacht wird, als sie sich als medizinischer Fortschritt durchsetzt. Je inhalts- und hoffnungsloser die Lebensverhältnisse im Imperialismus werden, desto zwanghafter werden Kinderwünsche und Gesundheitserwartungen von der Medizintechnik präfabriziert.

Auf zweierlei Wegen wird die Akzeptanz gegenüber der Gentechnologie und Humangenetik vorangetrieben: über das, was man die positive, systemkonforme Wirkung der Umweltvergiftung nennen kann die Gentechnologie gibt sich als wissenschaftliche Antwort auf die zunehmende Zerstörung der Lebensverhältnisse, als ob allein noch genetische Manipulationen und nicht die Ausschaltung der zerstörerischen Ursachen das biologische Überleben der Menschheit sichern könnten. Der biologische Reduktionismus richtet sich so, als weitere Kraft neben der Pollution, zwecks "Rettung der Gene" gegen die Unversehrtheit der Menschen, über die daraus entspringende Krankheitsangst, die Gesundheit als Produkt medizinischer Leistungen erwartet; und zweitens über den medizinalisierten Normalitätszwang, der in den Angeboten der Humangenetik und der pränatalen Medizin steckt. Die Euthanasie, für die im NS noch Tötungsanstalten und Abtransporte erforderlich waren, wurde in den letzten Jahrzehnten einen Schritt vorverlagert (genetische Beratung, Amniozentese) und kann nun bereits an embryonalen Zellkulturen vor der künstlichen Implantation des Embryos angewandt werden ("Embryo Selection"). Es gibt eine durchgehende Linie von der Individualisierung der Forderung nach Gesundheit über die Prävention von "Behinderung" bis zur Selektion am Arbeitsplatz und zur "Sterbehilfe" und Triage der Alten und Kranken.

An Reproduktionstechnologie, pränataler Medizin und Sterbehilfe ist nicht allein bedrohlich, daß das Leben als ethischer Komplex zerfällt (darüber kann sich die Philosophie nach Auschwitz nur noch im Auftrag des Hoechst-Konzerns unterhalten). Sondern aus der Zerlegung des menschlichen Reproduktionsvorgangs in Einzeltechniken folgt mit tödlicher Sicherheit die Zusammensetzung dieser Techniken in der Form der Kontrolle und selektiven Wirksamkeit, in Analogie zur Zerlegung des Arbeitsprozesses und der sozialen Reproduktion insgesamt. Es ist vor allem eine weitere Zerlegung der Frauenidentität, die hier stattfindet. Die leihweise Uberlassung eines zweiten Frauenkörpers zu Reproduktionszwecken bereitet das Erscheinen eines neuen Typs von Lohnarbeiterinnen vor. Wie seit der Geschichte der Einhegung der natural und subsistenzwirtschaftlichen Basen der Unterklassen deren Reproduktion immer mehr ins Kapital eingewandert ist, zuerst in der Form des Arbeitswerts und der Lohnarbeit, dann in keynesianisch-nationalsozialistischer Form über die Verstaatlichung der sozialen Reproduktion, so liefert die Gen- und Reproduktionstechnologie den Schlüssel dafür, die letzte Seite der Reproduktion, die Momente von Subjektivität, Intimität, Familiarität, das heterosexuelle Liebes- und Gewaltverhältnis, zu enteignen und in Formen des Werts zu transponieren.

***

Die Restrukturation des Reproduktions- und Konsumsektors bewirkt in den Metropolen eine neue organische Zusammensetzung des Gesamtkapitals, die dem tendenziellen Fall der Profitraten ebenso entgegenwirkt wie die Verwohlfeilerung der Produktionsmittel durch Verbilligung der Chips. Sektoren hoher organischer Kapitalzusammensetzung ("High Tech", Rüstung, Energie) kombinieren sich mit einem Konsumgütersektor niedriger organischer Kapitalzusammensetzung ("Fast Food", Schwitzbuden der Konfektionsindustrie, Reinigungsfirmen etc.) zu einem durchschnittlich zusammengesetzten Gesamtkapital auf nationalem Niveau, wodurch ein Werttransfer von den Sektoren extensiver Ausbeutung hin zu den Sektoren intensiver Technologie zustandekommt. Was noch vor 10 Jahren durch die "Neue internationale Arbeitsteilung" bezweckt wurde, wird nun in den Metropolen selbst wieder installiert.

Es handelt sich hier um eine neue Relation zwischen den Sektoren I und II, um ein "nazistisches" Akkumulationsmodell mit einer Konzentration der großen Kapitalmassen im Produktions- und Kriegsgütersektor und einem Abzug von Mehrwertmassen aus dem Konsumgütersektor. Dies kann am Beispiel der Autoindustrie verdeutlicht werden, die als Schlüsselindustrie der keynesianischen Epoche gelten kann, weil Fließbandproduktion, Lohnkämpfe und Konsumorientierung die massenhafte Subsumtion von Arbeitskraft und die Befriedung der effektiven Klassennachfrage ineins fielen. Im neuen Zyklus nun hat die Autoindustrie diese zentrale Rolle verloren; das Gesamtkapital reorganisiert sich in neuen Schlüsselsektoren. Statt ein Auto zu kaufen, müssen die unteren Klassenschichten ihre Budgets nun völlig für die Befriedigung der unmittelbarsten Lebensbedürfnisse aufwenden, wofür ein Netz extensiver Verwertungsinteressen entsteht, in dem auch noch das geringste Lebensbedürfnis in Warenform umgesetzt wird. Des subkulturellen Milieus beraubt, ist auch die Prostituierte längst zur Mehrwertproduzentin geworden.

Die Tendenz läuft also auf eine nochmals erweiterte Subsumtion der individuellen Lebensbedürfnisse hinaus. Die Singularisierung der Individuen, der Zusammenbruch familiärer Gewaltstrukturen unter den verschärften Zumutungen der Krisenpolitik leiten nur den letzten Schritt ein in der Auflösung sozialer Strukturen, in denen noch Reste und pervertierte Formen proletarischer Selbstbestimmung gelegen haben mögen. Einerseits in der kybernetischen Planung gesellschaftlicher Prozesse (die wir als "substitutive Vergesellschaftung" von oben bezeichnet haben und die zugleich Erzwingung gesellschaftlicher Mehrarbeit ist), andererseits in der Subsumtion der sozialen Bedürfnisse noch auf kleinstem Niveau und in der Subsumtion auch der generativen Reproduktion selbst liegt das Projekt der Dekonstitution und Abschaffung der Klasse, die mit der reellen Subsumtion ihre aus sich selbst bestimmte Existenz verloren hatte, die aber als gesellschaftlicher Widerspruch innerhalb des Kapitalverhältnisses noch im Zentrum des gesellschaftlichen Prozesses gestanden hatte. Sie wird nun auch der pervertierten Aktionsformen und Terrains beraubt.

Beides, die Dekonstitution durch die gesellschaftliche Ablaufplanung von oben und die produktive Subsumtion durch Erzwingung gesellschaftlicher Mehrarbeit, läßt auch auf der Erscheinungsebene die Grenze zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit verschwimmen. Die Hausfrau, die eben noch geputzt hat, bevor sie per KAPOVAZ für ein paar Stunden zur Arbeit in den Supermarkt gerufen wird, in dem sie anschließend gleich ihre Einkäufe erledigt, kann Leben und Mehrarbeit genauso wenig unterscheiden wie diejenige, die Schreibarbeiten am Bildschirm erledigt und nebenher ihre Kinder hütet, um später über BTX ihren Kontostand abzufragen und eine Sendung aus dem Großversandhaus zu bestellen. Selbst für die Kinder, die am Telespiel sitzen und später am Bildschirm, ist Spiel, Dekonstitution und Arbeit ineins übergegangen. Die gesellschaftliche Existenz selbst ist der Tendenz nach nur als nicht abreißende Kette von Mehrarbeit begreiflich, geleistet von Monaden, die technologisch zu einem Gesamtarbeiter kombiniert werden, ohne dies noch begreifen zu können.

***

So wenig wie sich aus der Subsumtion der produktiven Arbeit vorderhand Ansatzpunkte für eine gesellschaftliche Konstitution von unten finden lassen (vgl. Heft 13), so wenig scheint dies derzeit aus der neuen Subsumtion der Reproduktionsarbeit möglich. Auf keinen Fall handelt es sich darum, daß das Kapital selbstbestimmte Räume eröffnen würde, in denen die Naturnähe weiblicher Arbeit oder die Eigenarbeit grüner Deppen Inseln einer neuen Gesellschaft schaffen könnten. Die Grünen reflektieren nur eine politische Krise des Regimes, das den Übergang von der keynesianischen Demokratie zur staatlichen Organisation gesellschaftlicher Mehrarbeit noch nicht in ein neues politisches System umgegossen hat. Das Kapital entläßt keine subsistenziellen, selbstbestimmten Überlebensformen, sondern es subsumiert in der Tendenz auch noch die letzte individuelle Lebensäußerung als Mehrarbeit.

Die Frage nach Räumen antagonistischer Klassenkonstitution, nach einem distinkten Klassensubjekt als Bezugspunkt revolutionären Handelns, läßt sich dann weder aus der Existenz der Klasse als produktive Arbeitskraft noch von ihren Reproduktionsbedingungen her beantworten. Vielmehr ist die Suche nach Resten und neuen Streiflichtern selbstbestimmter Konstitution, zersplittert wie sie sein mögen, notwendig, das Aufspüren der Brüche und des unkontrollierten Verhaltens, welche mit der Durchsetzung der Krise sich ausbilden. Ohne die sozialhistorische Formulierung des Desiderats aber, ohne den Bezug auf eine soziale Autonomie, wie sie aus der Reproduktion des Proletariats in Eigengesetzlichkeit und in weltweitem Maßstab, aus der Selbstwertsetzung gegen das Kapital und nicht als variables Kapital erwächst, wäre jede Untersuchungsarbeit zur Erfolglosigkeit verurteilt, denn sie würde nur die Misere und das Ausmaß der Zerstörung widerspiegeln. Und neue Autonomie wird sich nur dort entfalten können, wo die staatliche und wissenschaftliche Maschinerie der Subsumtion angreifbar wird, deren Unterbrechung geradezu Voraussetzung ist für proletarische Rekonstitution.

Es erscheint die Reformulierung eines revolutionären Projekts notwendig, in dem ein Klassensubjekt antizipiert wird, das den Weg zur Konstitution aus eigener Bestimmung, im Kampf gegen das Kapitalverhältnis und gegen die vollständige Entwertung seines Lebens wieder finden kann, und es müssen zugleich die Mittel einer Gegengewalt zur Unterbrechung der gesellschaftlichen Erfassungs-, Planungs- und Zwangsstruktur entwickelt werden. Letztlich wird sich jede sozialrevolutionäre Organisation daran messen müssen, ob es gelingt, Räume für proletarische Rekonstitution zu eröffnen und zu sichern.